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Klimaerwärmung am Zürichsee
Aus vier werden zwei Jahreszeiten
Das Klima in der Zürichseeregion hat sich seit den 80er-Jahren massiv erwärmt. Besonders stark zeigt sich das im Frühling, Sommer und Herbst. Der Winter bleibe hingegen eine «Wundertüte», sagt Klimatologe Stephan Bader.
Martin Steinegger
Heisse Sommer, milde Winter und allmählich verschwindende Übergangs-Jahreszeiten: So lässt sich das Klima in der Zürichseeregion zum heutigen Zeitpunkt beschreiben. Seit Beginn der 1980er-Jahre ist die Tages-Durchschnittstemperatur um fast 3 Grad angestiegen – das heutige Klima unterscheidet sich damit wesentlich von jenem, welches noch vor 40 Jahren herrschte.
Das zeigt eine Analyse der Daten der Meteo-Schweiz-Wetterstation in Wädenswil, wo seit 1961 (Niederschlag) und 1981 (Temperatur) gemessen wird. Sie gilt als Klima-Referenzstation für die Tieflagen am Zürichsee.
Für Stephan Bader, Klimatologe von Meteo Schweiz, passen die Resultate dieser regionalen Datenanalyse zum schweizweiten Trend. Die Datenreihe von Wädenswil sei im Vergleich zu anderen Messstationen, die bis zu 200 Jahre in die Vergangenheit reichen, zwar relativ kurz. Das bedeute aber nicht, dass die Analyse nicht aussagekräftig sei.
So wird zum Beispiel ersichtlich, wie sich die Klimaerwärmung in den einzelnen Monaten und Jahreszeiten auswirkt. Besonders gut zeigt sich das, wenn die monatlichen Tages-Durchschnittstemperaturen mit der klimatologischen Norm der Jahre 1981–2010 verglichen werden.
Sommer: Mehr Hitze – und lauernde Trockenheit
Besonders im Sommer hat seit Beginn der 2000er-Jahre ein massiver Erwärmungsschub stattgefunden, wobei speziell der Juni ins Auge sticht. Der letzte deutlich zu kühle Juni wurde im Flachland der Zürichseeregion 2001 registriert – also vor 18 Jahren. Seither ist der Juni ungebremst auf Wärmekurs.
Der Juli und der August zeigen eine ähnliche Tendenz – allerdings gibt es im Gegensatz zum Juni bei diesen beiden Sommermonaten in den letzten Jahren zumindest auch hin und wieder einen «Taucher» in den negativen, also unterkühlten Bereich.
Ein überdeutliches Signal für die Erwärmung ist in allen drei Sommermonaten die deutliche Zunahme der Hitzetage (Tage mit Maximumtemperatur über 30 Grad). Noch in den 1980er-Jahren waren Hitzetage im Sommer eine Rarität. In den letzten paar Sommern gab es sie jeweils als «Dutzendware»:
Gemäss Stephan Bader ist die Erwärmung im Sommer klimatologisch besonders gut fassbar. Das hat einerseits mit der Sonne zu tun, die wegen ihrer Strahlungskraft einen grossen Einfluss auf die Temperatur hat. Andererseits zeige der Sommer auch eine erkennbare Veränderung des Strömungsmusters in der Atmosphäre. «Das Subtropenhoch über dem Mittelmeer dehnt sich zusehends in den Alpenraum aus und führt sehr warme Luftmassen heran», sagt Bader.
Der «Fahrplan» für den Sommer ist deshalb verhältnismässig gut vorherzusagen. Sommer mit ausgeprägten Hitzephasen wie jene von 2015, 2018 oder 2019 dürften künftig zum Standard werden.
Gleich viel Regen, aber mehr Trockenheit
Keine klare Tendenz zeigen die Daten in jüngerer Zeit beim Niederschlag – und zwar in keiner Jahreszeit. Das bestätigt auch der Klimatologe: «Die Niederschlagsmengen haben sich in der Schweiz in den letzten 60 Jahren kaum verändert.»
Trotz gleichbleibendem Niederschlag hat sich das Potenzial für Trockenheit aber vor allem im Sommer vergrössert. Der Grund: Durch die höhere Sommertemperatur nimmt die Verdunstung zu, und die Wasserreserven im Boden nehmen ab. «Messungen im Mittelland zeigen, dass die letzten 12 Sommerhalbjahre allesamt trockener waren als im langjährigen Mittel», sagt Stephan Bader. Das sei einzigartig in der über 150-jährigen Messgeschichte der Schweiz.
Frühling und Herbst verschwinden langsam
Ebenfalls markant erwärmt haben sich in der Zürichseeregion die beiden Übergangsmonate April und November. Um einen wirklich unterkühlten April zu finden, muss man in der Messreihe bis ins Jahr 2001 zurückgehen. Der November zeigt ein vergleichbares Bild. Auch hier überwiegen seit Beginn der 2000er Jahre die Monate mit deutlich positivem Temperaturüberschuss.
Wie Stephan Bader betont, geht der typische Charakter der Übergangsjahreszeiten mit der fortschreitenden Erwärmung allmählich verloren. Oder anders formuliert: Der Mai gleicht mehr und mehr dem Juni, der April verwandelt sich in den Mai und der März wird zum April. «Statt vier ausgeprägte Jahreszeiten haben wir wohl bald nur noch zwei», sagt Bader etwas überspitzt.
Weil das Klima ein chaotisches System ist, kommt es aber auch immer wieder zu Abweichungen, die nicht zum Trend passen. Ein gutes Beispiel für die Sprunghaftigkeit des Klimas lieferte in den letzten Jahren in der Zürichseeregion der Mai. Zwischen 1998 und 2010 war der «Wonnemonat» meistens viel zu mild. Dieser Trend setzte sich aber nicht fort: Von den letzten sieben Mai-Monaten waren vier zu kühl, wobei der Mai 2019 rund 2,5 Grad unter der Norm abschloss.
Gemäss Stephan Bader wird es derartige kühle «Ausreisser» auch künftig geben – trotz Klimawandel. Daran sei nichts widersprüchliches. «Man muss unterscheiden zwischen dem grundlegenden Temperaturanstieg und einzelnen Perioden, die davon abweichen», sagt er.
Winter: Die Wundertüte unter den Jahreszeiten
Damit wird der Bogen geschlagen zur aus klimatologischer Sicht komplexesten Jahreszeit: dem Winter. Alle drei Wintermonate zeigen in der Zürichseeregion einen Trend zur Erwärmung – allerdings ist die Variabilität viel grösser als in den anderen Jahreszeiten.
Heisst: Auf milde Phasen folgen immer wieder kühle, teils sogar deutlich zu kalte Perioden. Gemäss Stephan Bader liegt das daran, dass das Wetter im Winter aus allen möglichen Himmelsrichtungen «importiert» wird. Je nach Grosswetterlage kommen die Luftmassen vom nahen Atlantik (so wie im stürmischen Februar 2020), aus Südwesten oder Süden (mildes Hochdruckwetter), aus Norden (kühl-nass) oder aus Nordosten/Osten (trocken-kalt).
Diese Herkunftsorte verändern sich auch unter einem grundlegend höheren Temperaturregime nicht. Im Gegensatz zum Sommer spielt im Winter zudem die Sonnenstrahlung eine viel geringere Rolle für die Temperatur.
Zwischen 1990 und 2002 war zum Beispiel der Februar am Zürichsee meistens zu mild. «Daher wurde angenommen, dass sich dieser Erwärmungstrend ungebremst fortsetzt», sagt Stephan Bader. Dies geschah jedoch nicht. Zwischen 2002 und 2013 folgten mehrheitlich zu kalte Februar-Monate. Erst in den letzten Jahren schwenkte der Trend dann eher wieder in die andere Richtung.
Die weitere Klimaentwicklung im Winter sei schwer vorherzusagen, betont Bader. Klar ist, dass das Temperatursignal auch im Winter nach oben zeigt. Wie diese Erwärmung aber bezüglich Wetterlagen zustande kommt und und ob es eher mild-feuchte oder mild-trockene Winter sein werden, ist unklar. «Eigentlich wissen wir nur, dass wir nichts wissen», sagt der Klimatologe.
Ein Vorstellung davon, wie sich die Winter am Zürichsee seit Beginn der 1980er-Jahre verändert haben, gibt die Kältesumme. Diese ergibt sich, wenn man die tiefsten Temperaturen jedes Tages im Winter zusammenzählt. Das Resultat ist eindeutig. Die Winter der 80er-Jahre hatten teils Minimum-Summen von -300 Grad und tiefer. In den letzten Jahren häuften sich hingegen die Winter, in denen dieser Wert sogar im positiven Bereich blieb.
Dennoch mahnt Stephan Bader bezüglich Winter zur Vorsicht. Sogar auf die Frage, ob es künftig am Zürichsee wieder einmal eine «Seegfrörni», also ein komplettes Zufrieren des Sees wie letztmals 1963 geben werde, will er sich nicht auf eine klare Antwort festlegen. «2012 standen wir relativ kurz davor, dass sich auf dem Zürichsee eine feine Eisdecke bildete», gibt er zu erinnern. Damals fehlten lediglich ein paar Wochen zusätzliche Kälte.
Dass eine komplette Seegfrörni auf dem Zürichsee künftig wieder vorkommen wird, sei zwar unwahrscheinlich – aber auch nicht völlig auszuschliessen. Dafür gibt das Klima selbst Experten wie Stephan Bader nach wie vor zu viele Rätsel auf.
Dieser Artikel wurde im Rahmen des CAS Datenjournalismus am Medienausbildungszentrum Luzern (MAZ) erstellt. Die zugrunde liegenden Daten sowie der Code sind auf Github zu finden.
Tinu (Männedorf ZH, 422 m ü. M)
Gewitter und Sturm = erhöhter Pulsschlag
Föhn-fasziniert