Beben in Italien: „Dass da noch jemand leben soll...“
07.04.2009 | 18:24 | Von unserem Korrespondenten PAUL KREINER (Die Presse)
Mindestens 207 Todesopfer – eine Reportage aus dem Katastrophen-Gebiet.
L'AQUILA. „Mama, schau, Mamaaa! Da gibt's Kipferl mit Nutella!“ Giulio hat kein Haus mehr, aber der Tag ist gerettet. Giulio wurde vor ein paar Tagen fünf – jetzt steht er Schlange vor der Feldküche des Zivilschutzes. Der Rasen am Sportplatz von L'Aquila ist vom Gewitterregen des Vortags und von den vielen Füßen zu Schlamm geworden. Aber Giulio und die Mama richten sich darauf ein, dass das Areal ihre Heimat bleiben wird. Für Wochen? Monate? Jahre?
2000 Schlafplätze gibt's hier, zu wenig für die rund 17.000 Obdachlosen, aber am Dienstag kamen in der Region Abruzzen 40.000 Betten dazu, und viele schlafen derzeit ohnehin lieber im Auto. Wie Giulio, seine Mama, die kettenrauchende Oma und ihre zwei Hunde. „Im Auto ist's wärmer“, sagen sie, „in den Zelten ist keine Heizung.“
Eine Signora steht da, vierzig vielleicht, ein Brillant in der Nase, gehüllt in eine Jugendherbergsdecke. Seit fünf Generationen wohne ihre Familie in einem der ältesten Palazzi von L'Aquila. Und der sei Montag Früh um 3.32 Uhr zusammengesackt. Ein paar Stunden lag sie unter den Trümmern, dann habe sie sich befreit. „Mir ist nur geblieben, was ich am Leib trage“, sagt sie, und knöpft den Mantel auf. Darunter trägt sie Pyjama.
 
„Die hätten mal üben sollen“
Alle stehen sie um Frühstück an. Tee gibt's, warme Milch, Gebäck, Obst. Mit der Organisation der Hilfe sind die meisten zufrieden. Ein Ingenieur, dessen rechtes Auge mit einem Pflaster verklebt ist, raunzt: „Erst war der falsche Treffpunkt für Evakuierte angegeben, da sind viele falsch gelaufen. Da zeigte sich, dass die Notfallpläne am grünen Tisch entstanden. Die hätten mal üben sollen.“
Obdachlose werden auch in Hotels an der Adria überstellt, die Schlafplätze versprochen haben – zumindest bis Saisonbeginn. Viele kommen dort auch bei Verwandten oder Freunden unter. „Das ist das Schöne in Italien“, sagt ein Bursch: „Wir helfen einander.“
L'Aquila, die Hauptstadt der Abruzzen, ist Dienstag früh eine Geisterstadt. Nur Polizisten streifen herum. Die Straßen im Zentrum der 73.000-Einwohner-Stadt sind voll Schutt, Gesimse sind abgestürzt, Wände eingebrochen. Risse ziehen sich über Fassaden. Praktisch kein Gebäude ist unbeschädigt, kaum eines kann bewohnt werden, auch wenn sich Bewohner hineinschleichen, um Köfferchen mit dem Nötigsten zu packen. Einer Dame stehen Tränen in den Augen. Sie zeigt ihre Halskette mit dem goldenen Sonnenmedaillon. „Ich durfte nimmer ins Haus. Aber dann hat mir ein Feuerwehrmann ein paar meiner Preziosen aus dem ersten Stock geholt. Das bisschen Gold halt.“
Alle Läden sind zu. Nur der Apotheker am Domplatz ist auf Posten, verkauft Verbände und Medikamente mitten im Chaos. Voller Staub ist der Laden, Parfum, Babynahrung und Hühneraugenpflaster liegen verstreut herum. Aber seelenruhig berät der Apotheker seine Kunden weiter.
 
Aufmarsch der Blaulichter
Italien zeigt alles, was es Einsatzkräften und Blaulicht zu bieten hat: Staats-, Stadt- und Provinzpolizei, Gendarmerie, Finanz- und Forstwache, Feuerwehr, Waldbrandwache, Höhlenretter. Lange Konvois kämpfen sich in die Bergdörfer, die ebenso getroffen wurden wie L'Aquila. Weil es so viele Fahrzeuge sind, kommen sie nur schrittweise voran, es gibt stundenlange Staus. An normalen Autoverkehr ist eh nicht zu denken.
Auf einem Schutthaufen schicken Hundeführer ihre Tiere hin und her. Einer schlägt an. Riecht er einen Körper? „Kann sein“, sagt ein Hundeführer, „kann auch sein, dass ein Kühlschrank aufgegangen ist und der Hund Fleisch riecht. Die Tiere sind ja wie wir seit 30 Stunden im Einsatz.“ Dann zeigt er auf den Haufen: „Dass da noch etwas Lebendes drin sein soll...“. Und zuckt mit den Schultern.
Bis Dienstag Abend zählte man 207 Tote, mehr als 1000 Menschen wurden verletzt. Freilich gelten nur noch sehr wenige als vermisst – wohl mit ein Grund, dass Italiens Premier Silvio Berlusconi am Dienstag sagte, die Rettungsarbeiten würden wohl nicht mehr länger als 48 Stunden andauern.
http://diepresse.com/text/home/panorama/welt/468357
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08. April 2009, 11:10
Erdbeben in Italien:
Berlusconi vergleicht Notlager mit "Wochenend-Camping"
Rund 17.000 Menschen sind nach dem Erdbeben in Mittelitalien obdachlos, Angst geht um in den Notlagern - die Worte des Ministerpräsidenten müssen ihnen da wie Hohn erscheinen. Silvio Berlusconi fand bei einem Besuch wenig einfühlsame Worte: "Man muss es eben nehmen wie ein Camping-Wochenende."
Berlin - Seit Tagen harren sie in Zelten und provisorischen Unterkünften aus, viele Menschen, die bei dem verheerenden Erdbeben in Mittelitalien ihr Dach über dem Kopf verloren haben, schlafen in Autos - aus Angst vor Nachbeben.
Freiwillige Helfer des Zivilschutzes verteilen warme Decken und heiße Getränke. Nachts fallen die Temperaturen stark, in den Zelten ist es bei vier bis sechs Grad empfindlich kalt. Die Situation ist durch Angst gekennzeichnet: Die Menschen wissen nicht, ob sie je in ihre Häuser zurückkehren können - sofern diese noch stehen.
Immer wieder erschüttern zudem heftige Nachbeben die Region, so dass viele es vorziehen, die Nacht im Auto zu verbringen. So können sie in der Nähe der beschädigten Häuser bleiben. In den vergangenen Tagen gab es immer wieder Meldungen von geplünderten Gebäuden. Auch bietet das Schlafen im Wagen die Möglichkeit, der Kälte durch die Heizung zu trotzen.
Im Laufe des Donnerstags soll sich für einen Teil der Menschen entscheiden, ob sie in ihre Häuser zurückkehren dürfen.
Italiens Ministerpräsident fand bei einem Besuch vor Ort in einem der Lager wenig einfühlsame Worte. Er verglich die Lage der obdachlos gewordenen Erdbebenopfer in den Abruzzen mit einem Campingurlaub. In den Ohren der Menschen müssen seine Worte zynisch geklungen haben.
Den in Zeltlagern untergebrachten Menschen fehle es an nichts, sagte er dem Fernsehsender NTV bei einem Besuch vor Ort. Sie hätten warmes Essen und medizinische Versorgung. "
Natürlich" sei ihre Unterbringung "absolut provisorisch, aber man muss es eben nehmen wie ein Camping-Wochenende".
Durch das schwere Beben in der Nacht zum Montag mit mindestens 250 Toten verloren rund 17.000 Menschen ihr Zuhause. Die meisten wurden in Zeltlagern in der Nähe der schwer zerstörten Regionalhauptstadt L'Aquila untergebracht.
Die italienische Nachrichtenagentur Ansa meldet unterdessen, dass die Staatsanwaltschaft von L'Aquila erste Ermittlungen aufgenommen hat, um die mögliche Verantwortung für die Schäden infolge des Erdbebens zu überprüfen. 
Die Annahme eines Verschuldens würde den Straftatbestand der Fahrlässigkeit beinhalten, jedoch gibt es derzeit noch keine konkreten Untersuchungen. Bislang wird noch gegen Unbekannt ermittelt. "Sollten sich Anzeichen für konkrete Verantwortlichkeiten ergeben, werden wir weitere Schritte einleiten", so Staatsanwalt Alfredo Rossini.
http://www.spiegel.de/dertag/pda/avantg ... 97,00.html
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8. April 2009, 11:30, NZZ Online
Starkes Nachbeben in der Region Abruzzen
Zahl der Opfer steigt auf 250 - Weitere Gebäude eingestürzt
(sda/dpa) Die Zahl der Todesopfer des Erdbebens in Mittelitalien ist bis zum späten Dienstagabend auf 250 gestiegen. Dies berichteten italienische Medien in der Nacht zum Mittwoch unter Berufung auf Angaben des Zentrums, das die Hilfsmassnahmen in der Stadt L'Aquila in den Abruzzen koordiniert.
Die Zahl der Verletzten wurde mit rund 1000 angegeben. Am Dienstagabend hatte ein kräftiges Nachbeben der Stärke 5,3 in der Abruzzen-Hauptstadt L'Aquila und mehreren Orten der Umgebung weitere Häuser einstürzen lassen.
Seit dem Hauptbeben am frühen Montagmorgen, dem folgenschwersten in Italien seit 1980, wurden insgesamt mehr als 280 Nachbeben gezählt. Immer wieder lösten sie Panik in der Bevölkerung aus und richteten neue Schäden an.
Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat die Lage der obdachlos gewordenen Erdbebenopfer in den Abruzzen mit einem Campingferien verglichen. Den in Zeltlagern untergebrachten Menschen fehle es an nichts.
Sie hätten warmes Essen und medizinische Versorgung. Natürlich sei ihre Unterbringung «absolut provisorisch, aber man muss es eben nehmen wie ein Campingwochenende», sagte er gegenüber dem deutschen Nachrichtensender NTV bei einem Besuch vor Ort.
http://mobile.nzz.ch/;s=yw39SB2QMHdBjab ... 59963.html