Eine Kurve, die die Welt bewegt
Lange schätzten Forscher und Menschen das Kohlendioxid als Schutzwall gegen die Kälte des Weltalls - Das änderte sich, als 1955 ein junger Chemie-Student damit begann, Luft in Flaschen nach Hause zu tragen - Eine kleine Geschichte des Treibhauseffekts
Von Wolfgang Wiedlich
CO2-Experte Charles Keeling.Bonn. Am Anfang stand "der unsichtbare Spiritus des Holzes". Unter dieser Überschrift berichtete der flämische Physiker Johann Baptista van Helmont
Mitte des 17. Jahrhunderts über seinen Versuch, "62 Pfund eichene Holzkohle" zu verbrennen. Im Ofen blieb ein Pfund Asche übrig. Für van Helmont waren 61 Pfund "wilder Spiritus" in die Luft entwichen. Was da genau passiert war, wusste niemand.
150 Jahre später nähert sich der französische Mathematiker Jean Baptiste Fourier dem Phänomen aus einer anderen Richtung. Er berichtet Napoleon, dass nach seinen Berechnungen die Erde wärmer sei, als sie aufgrund der Sonneneinstrahlung sein dürfte. "Irgendetwas" wirke wie eine Warmhaltepackung gegen die Kälte des Alls. Er spricht von "Gewächshauseffekt". Napoleon ist fasziniert und macht Fourier
1827 zum Baron.
30 Jahre später: Der englische Physiker John Tyndall meldet, dass 99 Prozent der Luft überhaupt nicht wärmen, sondern lediglich Wasserdampf und Kohlendioxid (CO2). Er beobachtet, dass Pflanzen das CO2 ständig ein- und ausatmen. Tyndall wittert: Dieser Luftwinzling ist eine Supermacht. Würde seine Konzentration nur geringfügig sinken, könnte das Eiszeiten auslösen.
Er plädiert dafür, alles zu tun, damit stets "ausreichend wärmendes CO2" in der Lufthülle sei. Und: "Es ist feige, Fakten auszuweichen, weil sie nicht nach unserem Geschmack sind." Damals sitzt die Angst vor dem frostigen All tief. Weder Tyndall noch andere Gelehrte fürchten die Kehrseite der Medaille: eine globale Erwärmung.
Das ändert sich
1896. Der schwedische Chemie-Nobelpreisträger Svante Arrhenius erkennt, dass die industrielle Revolution nicht nur Produktion und Wohlstand mehrt, sondern auch "die Kohleminen in die Luft jagt". Arrhenius ist beunruhigt, während die Mehrheit der Wissenschaftler annimmt, dass das CO2 schon komplett von Pflanzen und Ozean entsorgt wird.
Mitte des 20. Jahrhunderts: Der Treibhauseffekt ist kein Gesprächsthema. Was unsichtbar ist, ist nicht existent. Leise Ahnungen vom Gegenteil werden um 1950 zwar in wissenschaftlichen Zirkeln geäußert, kommen jedoch, auch mangels Beweisen, nicht über den Bedenkenträger-Status hinaus.
Dann, 1954, betritt Charles David Keeling, ein 26-jähriger Chemie-Doktorand, die wissenschaftliche Bühne. Ihn interessiert: Wie messe ich CO2-Moleküle? Nicht in Pfund, sondern in Teilen pro Million (parts per million / ppm) Luftmolekülen!
Ein Förderantrag über eine vierstellige Dollarsumme wird abgelehnt. Fieberhaft stöbert Keeling in der Literatur und findet einen vergilbten Artikel aus dem Jahre 1916 - eine umständlich geschriebene Bauanleitung für ein Gerät, das sich zur Messung kleinster Gasmengen eignen soll. Keeling tüftelt monatelang, dann hat er "sein" Manometer vollendet, fähig zu Messungen von millionstel Teilen.
Niemand ahnt, dass am Ende seiner Forschung ein Spiegel stehen wird, in den die Menschheit sich weigert hineinzuschauen. Sein Chef, Professor Charles Kennel, wird später sagen: "Keeling ist der beste Beweis dafür, dass ein Wissenschaftler mit seiner Arbeit im Labor die Welt verändern kann."
Mit Frau und Baby bricht Keeling 1955 auf, um über Feldern, auf Bergen und in Städten der USA Luft in Flaschen zu füllen und diese zu beschriften: Sammelstelle, Tag, Uhrzeit. Zu Hause lässt er den Geist aus der Flasche und analysiert ihn. Die vielen unterschiedlichen CO2-Werte lassen ihn grübeln. Die Werte schwanken. Hier Stadtluft, dort Waldluft. Dazu Schwankungen im Tagesgang. Immer steigen die CO2-Werte, wenn die Sonne untergeht.
Herauskommt eine Zickzack-Kurve, und Keeling weiß bald, was er da auf Millimeterpapier aufgezeichnet hat: den Puls des Planeten. Für ihn steht fest: Die Atmosphäre steckt voller Informationen über die Biosphäre.
Das Auf und Ab seiner Kurve spiegelt einen 24-Stunden-Tag, das wundersame Wechselspiel von Fotosynthese und Respiration: Tagsüber atmen Pflanzen CO2 ein, nachts aus. Doch Keeling steht vor einem Daten-Wirrwarr, ausgelöst von Fabrikschloten, Autos und Pflanzenatmung. Wo kann man den durchschnittlichen Kohlendioxid-Gehalt der Luft messen?
Auf dem 3 650 Meter hohen Mount Whitney in Kalifornien ist er
1957 am Ziel; er misst 314 ppm - zu jeder Tageszeit. Noch reinere "Durchschnittsluft" gibt es nur noch auf Hawaii, denkt Keeling. Hier ist die Chance groß, Luft durch den Gasanalysator zu schicken, die ganz frei ist von aktuellen Ausdünstungen der Zivilisation.
1958 steht Keelings Apparatur schließlich auf dem 4 171 Meter hohen Vulkan Mauna Loa. Das Reinluftgebiet enttäuscht nicht: Die tägliche Zickzack-Kurve ist nicht mehr sichtbar, immer liegt der Wert zwischen 314 und 315 ppm. Doch nach Monaten staunt Keeling, denn wieder entwickelt sich auf dem Millimeterpapier das charakteristische Auf und Ab.
Allerdings jetzt im Jahresgang: Wenn auf dem Land die Blätter fallen, steigt die Kurve, wenn die Pflanzen wachsen, fällt sie. Herbst, Frühling, Herbst, Frühling - auch die Jahreszeiten hinterlassen ihren Fingerabdruck in der Lufthülle.
Nach 1958: Keeling misst und misst, und die Kurve steigt und steigt. Es bedarf keiner Orakelei, um den Trend zu erkennen. Ihm ist klar, dass es sich hier um mehr handelt als eine interessante luftchemische Botschaft aus dem Reich der Pflanzen. Als Keeling
1972 seinen großen Report über die Verbrennung von fossilen Brennstoffen der zurückliegenden 100 Jahre veröffentlicht, entsteht eine zweite Kurve; sie ist steiler als die des CO2-Anstiegs.
Ursache: Der Ozean hat bereits zahlreiche CO2-Moleküle geschluckt, aber er löst atmosphärisches Kohlendioxid um so besser, je kühler er ist. Und da die Weltmeere sich in weiten Teilen erwärmen, arbeitet die Müllabfuhr nun langsamer.
Holz, Torf, Erdöl, Naturgas, Steinkohle, Braunkohle - jedes Jahr hatte eine wachsende Menschheit mehr davon verbrannt. Keelings Kurve spiegelt den Fortschritt auf fossiler Basis und sein atemberaubendes Tempo. In ihr steckt vieles von der Erfindung der Dampfmaschine über das Lebenswerk eines Henry Ford bis zu den vielen kleinen Annehmlichkeiten zwischen Erdbeeren im Dezember und dem Kurztrip nach London. Eine Wachstumskurve. Sie löst bald eine globale Debatte aus.
Was sagte Tyndall doch gleich? "Es ist feige, Fakten auszuweichen, weil sie nicht nach unserem Geschmack sind." Ausgerechnet in seiner Heimat muss Keeling erleben, wie sein Präsident leugnet und verdrängt - und ihn, den Überbringer der schlechten Nachricht, dann 2002 trotzdem ehrt. Mit der nationalen Wissenschaftsmedaille, der höchsten Auszeichnung der USA für einen Wissenschaftler.
Am 21. Juni 2005, die Kurve ist bei 379 ppm angekommen, stirbt Charles David Keeling (77) an einem Herzinfarkt. Keelings Erben messen weiter. Letzter Wert: 382,72 ppm. Allerdings ist Frühling auf der Nordhalbkugel, die Pflanzen atmen. Sie übertünchen gerade das wirtschaftliche Erwachen Chinas und Indiens. Keelings Vermächtnis, die Kurve, verläuft im Herbst wieder steiler.
(20.04.2007)
Generalanzeiger Bonn
Wikipedia
Tja.. Wohin verschwindet eigentlich all der Sauerstoff aus der Atmosphäre?
- Editiert von Urbi am 09.11.2008, 21:22 -