Cyrill hat geschrieben: ↑Di 20. Jul 2021, 22:08
Meine Meinung zur aktuellen Lage: Die Bilder von der Katastrophe in Deutschland und Belgien sind erschreckend

Mein Beileid gebührt denjenigen, die Menschen, aber auch ihr Hab und Gut verloren haben. Ich bin auch der Meinung, dass ein "was hätte wenn..."-Szenario erst nach dem Schock (wenn überhaupt) als Frage gestellt werden müsste.....;
Zwei Sätze von mir zur Lage in Deutschland, speziell der Eifel.
Vorab: Ich bin kein Hydrologe, allenfalls ist das eins meiner Interessensgebiete. In den typischen deutschen Mittelgebirgen (und das betrifft bestimmt auch Teile der Schweiz und andere Regionen) hatten wir "früher" diese typischen Dauerregenhochwasser. Meist mit Niederschlagsintensitäten um 3 mm/h, manchmal auch bis 5 mm/h (Richtung Schwarzwald, etc.). Das betraf dann vor allem die mittelgroßen bis großen Einzugsgebiete, wie Mosel, Neckar, Rhein, etc.
Eng begrenzt gab es auch mal Gewitterhochwasser, nach meist so 90-180 minütigen Starkregenfällen. Aber die kleinen bis kleinsten Einzugsgebiete standen eigentlich nie im Fokus.
Bei den großen Hochwasserlagen bspw. 1990 im Schwarzwald war es auch meist tagelanger Dauerregen, gefolgt von einem Spitzenereignis (das damals übrigens auch niemand "vorhersah" und das zum Aufbau der Hochwasserzentrale führte).
Für den Schwarzwald gilt eigentlich, unabhängig von Sondersituationen wie Schneeschmelze oder Kahlfrost davor, dass Intensitäten bis ca. 5 mm/h problemlos abgeführt werden können. Das juckt auch groß niemanden und führt zu den typischen 80-120 mm/d.
Beobachten kann man zudem, dass es dann, gerne durch in die schleifenden Kaltfronten eingelagerte Starkregenzonen, dort auch mal bis zu 10 mm/h runterhauen kann, für vielleicht 2-4h Dauer. Das wird dann schon heftiger und zumindest lokal führt das dann zu kleineren Problemen.
Aber alles noch im ca. 20-jährlichen Rahmen soweit.
In der Eifel ist das Niveau durch die andere Topographie nochmal ein Tick niedriger, d.h. die Intensität der Niederschläge meist etwas geringer und damit auch die hydrologischen Voraussetzungen und Jährlichkeiten.
Was passierte dann letzten Mittwoch dort?
Die Böden waren dort, anders als bspw. in der Schweiz oder in BaWü nicht bereits völlig durchnässt, als die große Schleppe um den Tiefkern herum dort eintraf. Los ging es, laut der Radar-Infos die mir bekannt bzw. zugänglich sind (
https://kachelmannwetter.com/de/regensu ... 1050z.html) ab ca. 12 Uhr mittags.
Seit diesem Zeitpunkt lag das obere Einzugsgebiet der Ahr (und die angrenzenden Bereiche) meist voll im Schwerpunkt der Niederschläge. Und wie das bei manchen Einzugsgebieten eben so ist - manche wie die Ahr verlaufen eben ein wenig trichterförmig und lassen Wasser aus allen Himmelsrichtungen zusammenfließen, während andere eher langgestreckt sind.
Aber gerade das sensible, obere Einzugsgebiet wurde eben voll getroffen. Der Regen entlud sich dann bis ca. 20:30 Uhr und belief sich in dieser Zeit auf eine Radar-Summe von ca. 120 - 150 mm (je nach Quelle, Kachelmann/DWD). Heißt, wir hatten dort im Mittel ca. 15 mm/h, in der Spitze, und das vor allem gegen Ende auch nochmal deutlich darüber, was besonders fatal ist, denn zu diesem Zeitpunkt waren die natürlichen und künstlichen Speicher bereits gefüllt.
Was ich sagen möchte: Die Niederschlagsintensität lag über einen so langen Zeitraum so dermaßen außerhalb dessen, was hydrologisch verträglich wäre, Vorregen hin oder her.
Spätestens gegen 18, 19 Uhr musste jedem Hydrologen, der sich die Situation dort bewusst machte, klar werden, dass das ein enormes Hochwasser auslösen würde, zumal die Abflüsse zum Zeitpunkt der stärksten Niederschläge zumindest in den Oberläufen bereits das Niveau der HHQ erreicht hatten oder bald erreichen würden.
Der Höchststand in den am stärksten betroffenen Gebieten wurde oft erst deutlich nach Mitternacht erreicht, auch wenn freilich schon am späten Abend an mehreren Stellen die Pegel ausfielen, weil sie selbst überflutet wurden.
Und genau das ist das Traurige: Hydrologisch war die Sache schon Stunden vor dem Ereignis insoweit klar, dass es zu großflächigen Überflutungen kommen würde. Dass man heute, nachträglich, den Pegel in Altenahr mit ca. 700 cm abschätzt, spielt nur noch eine geringe Rolle. Es war klar, dass, im Schweizer Sprech, die Gefahrenstufe 5 um mindestens weitere 2 imaginäre Stufen gerissen werden würde.
Als Bürgermeister, Anrainer, etc. habe ich keine wirkliche Chance, außer das Wasser zu beobachten und mit meinem Erfahrungsstand abzugleichen. Es ist dunkel (auch das war es noch längst nicht überall, als sich die Katastrophe abzeichnete, wie man an zahlreichen Videos sehen kann), ich sehe, dass der Fluß steigt, vielleicht wurde ich erst spät geweckt...zuerst steht das Wasser in der Straße, fließt durch die Kellerfenster. Während ich im Keller hantiere, steigt es weiter und ich werde überrascht. Zu diesem Zeitpunkt kann ich das Haus nicht mehr verlassen. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf.
Was vor Ort aber wirklich geschah, wer von den "Verantwortlichen" wie wann reagierte oder eben nicht - dazu möchte ich nicht tiefer recherchieren. Dazu kenne ich auch die Strukturen nicht gut genug und es fühlt sich auch pietätlos an, wenn man weiß, dass im Umfeld dieses Orts alleine 100 Menschen ihr Leben ließen. Aber man kann sagen, dass es wahrlich nicht gut lief und an entscheidenden Stellen wohl Fehler gemacht wurden.
Das Wasser stieg dann, beispielhaft an diesem Ort ca. 3,50 m ÜBER

die bisherigen Höchstwerte. Das sagt eigentlich alles.
Das Wasser hätte man nicht bändigen können. Und die Entscheidung, ab wann Sachwerte und ab wann Menschenleben gefährdet sind, ist nicht einfach zu treffen, erst recht nicht unter Druck und mit hydrologischen Erscheinungen, die so vorher noch nie von einem Rechner simuliert wurden. Aber die Mittel, dass das ein Ereignis ist, das ein 100-jährliches Ereignis weit überschreitet, die hatte man. Und trotzdem gibt es manche Politiker hier, die behaupten, dass man eine solche Katastrophe nicht vorhersagen kann. Doch, ab 19 Uhr konnte ein seriöser Hydrologe erkennen, dass da Handlungsbedarf besteht.
Und der CDU/AfD-Sprech, wonach das ja nur an den versiegelten Flächen liegt und niemals am Klimawandel (man merke die Nähe der Argumentation zu: Ja, ihr messt ja auch so hohe Temperaturen in den bebauten Städten, das sind alles Pseudoeffekte!) - ist fatal und entlarvend zugleich. Das Gebiet ist mehrheitlich bewaldet, landwirtschaftlich genutzt, überflutet wurden kleine Dörfer und Städtchen, manche Fachwerkhäuser sollen dort 500 Jahre gestanden haben, bevor sie nun fortgerissen wurden. Aber bitte, jedem seine Meinung...
Okay, sind jetzt doch mehr als 2 Sätze geworden...