Hallöchen
Zum Thema Hurricanes und Klimaveränderung war heute im Berner "Bund" ein Interview mit Prof. Heinz Wanner, Klimatologe an der Uni Bern, zu lesen. Ziemlich lang, aber sicher für die meisten von uns sehr lesenswert:
«Auch Hurrikane sind zum Teil hausgemacht»
Für Professor Heinz Wanner, Klimaexperte an der Universität Bern, ist es unabdingbar, dass der Mensch die Lehren aus den verheerenden Schadenereignissen wie den gegenwärtig wütenden Hurrikanen zieht und den CO2-Ausstoss drastisch reduziert. Auch die Schweiz sei weit davon entfernt, die entsprechenden Vorgaben des Kyoto-Protokolls zu erfüllen – es fehle am politischen Willen.
Interview: Walter Däpp
«Bund»: Hurrikane bringen seit Wochen Tod und Verwüstung – nach «Charley», «Frances» und «Ivan» nun «Jeanne». Allein in Haiti dürfte «Jeanne» über 2000 Todesopfer gefordert haben. Geht dieses Schreckensszenario nun weiter?
Heinz WANNER: Es ist schwierig, Hurrikane auf Wochen hinaus zu prognostizieren. Klimatologisch betrachtet, mit Blick in die Vergangenheit, lässt sich aber sagen, dass von August bis Oktober in gewissen Gebieten Hurrikansaison ist – mit Schwerpunkt September, weil dann die Ozean-Oberflächentemperaturen für die Bildung der Hurrikane optimal sind. Mich überrascht aber die grosse Zahl der sehr heftigen Hurrikane.
Amerikanische Experten haben für diesen Herbst in der Karibik 12 bis 15 tropische Stürme vorausgesagt, von denen 6 bis 8 Hurrikandimensionen annehmen würden. Wie sind solche Prognosen möglich?
Sie basieren auf statistischen Schätzungen oder Computermodellen, die aber mit Unsicherheiten behaftet sind.
Muss mit weiteren schlimmen Hurrikanen gerechnet werden?
In der Schweiz erstellt niemand Modellrechnungen, wie es das amerikanische Hurricane-Center tut. Die Prognosen für Oktober deuten auf eine Abnahme hin.
Fast gespenstisch mutet jeweils an, wie genau der geografische Verlauf eines Hurrikans vorausgesagt wird – so, dass Millionen von Menschen dann zu flüchten versuchen.
Auch das basiert auf den Modellrechnungen. Man füttert dem Computer – vereinfacht gesagt – den Anfangszustand des Wetters, den Ozean- und Festland-Atmosphärenzustand. Der Computer teilt die Erde dann vom tiefen Ozean bis in die hohe Atmosphäre in ein Gitternetz ein, stellt dort die Veränderungen in einer bestimmten Zeitspanne fest und errechnet so die zu erwartenden Zugbahnen eines bestimmten Hurrikans. Auch diese Zugbahnprognosen sind aber unsicher – wie auch bei den letzten Hurrikans. Bei unseren Wetterprognosen ist es ja ebenso.
Hurrikan «Jeanne» hat in verheerender Weise vor allem das arme Land Haiti getroffen. Ein Zufall?
Die seit 1944 vorliegenden Daten zeigen, dass Haiti räumlich in der klassischen Zugbahnregion der Hurrikane liegt, die im Gebiet der Karibik und Floridas auftreten. Tragischerweise sind oft arme Länder betroffen. Das gibt mir auch politisch immer wieder zu denken.
Die Häufung der derzeitigen Hurrikane ist aber doch auffallend?
Die Statistik der ostpazifischen und der westatlantischen Hurrikane in der Karibik, die Zusammenstellung extremer Wetter- und Klimaereignisse (das Klima ist die Summe des Wetters über eine lange Zeit) sind stets mit einem Makel behaftet. Es sind vielleicht hundert Ereignisse nötig, um einen klaren Trend zu erkennen. Bei den Hurrikanen verfügt man erst über kurze Zeitreihen. Und diese lassen keinen klaren Trend erkennen.
Die Hurrikane richten aber grössere Schäden an als früher?
Ja, und das muss zu denken geben. Die Häufigkeit eines Ereignisses ist eben das eine, die Intensität das andere. In der Zeitschrift «Science» ist unlängst nachgewiesen worden, dass mit der Zunahme der Treibhausgase, insbesondere von CO2, die Intensität der Hurrikane zunimmt – in Bezug auf Windgeschwindigkeit und Niederschläge, weil die CO2-Zunahme die Ozean-Oberflächentemperatur ansteigen lässt. William Gray, der berühmteste Hurrikanforscher, hat uns immer gesagt, ein Hurrikan brauche warme Füsse.
Die Erwärmung der Meere verstärkt also die Wucht der Hurrikane?
Ja. Der zunehmende Treibhauseffekt erwärmt die bodennahe Atmosphärenschicht und so auch den Ozean. Wenn die bei 26 bis 27 Grad liegende Schlüsseltemperatur des Meerwassers zur Bildung eines Hurrikans ansteigt, nimmt die Intensität der Hurrikane zu.
Wie kommt es zu einem Hurrikan?
Es handelt sich um Störungen in den Tropen, die wellenförmig westwärts und dann nach Norden und Süden driften. In bestimmten Zonen und unter gewissen Bedingungen, eben bei erwärmter Ozean-Oberflächentemperatur, können sie sich dann wie ein «Geschwür» zu einem Hurrikan auswachsen – wenn er eben «warme Füsse» hat. Es werden dann gewaltige Energien und Windgeschwindigkeiten erzeugt – von weit über 200 km/h. Und vor allem kommt es dann zu Niederschlägen, wie wir sie uns kaum vorstellen können. Dies führt dann, wie nun in Haiti, zu grossen Überschwemmungen.
Wie war im Vergleich dazu die Wucht «Lothars», der Ende Dezember 1999 über die Schweiz fegte?
Auch «Lothar» kam punkto Windgeschwindigkeit nahe an einen Hurrikan heran. Seine räumliche Ausdehnung war aber viel kleiner. Auch er wurde von der latenten Energie der Ozeanoberfläche gefüttert. Doch die Energie der Stürme nimmt durch die Bodenreibung ab, wenn sie auf Land treffen.
Könnte auch über dem Mittelmeer ein Hurrikan entstehen?
Nein. Das Mittelmeer ist zu weit vom tropischen Raum entfernt und als Feuchtigkeitsreservoir zu klein. Über dem Mittelmeer bilden sich aber sehr heftige Lee-Zyklonen oder Genua-Zyklonen.
Was ist ein Hurrikan? Was ein Taifun? Was ein Tornado?
Hurrikane sind tropische Wirbelstürme im Gebiet südöstlich der USA – in der Karibik, über Kuba, Haiti, oder an der Pazifik-Ostküste der USA. Beim Taifun handelt es sich um das gleiche Phänomen in Asien und im Indischen Ozean. Der Tornado ist ein kleinerer Wirbel, der als Sekundärwirbel eines Tiefdruckgebiets in unseren Breitengraden, vor allem in den USA, auftreten kann. Ein Tornado ist kleiner, kann aber auch eine grosse Zerstörungskraft haben.
Kann der Mensch das Hurrikanrisiko mindern? Und wie kann er sich dagegen schützen?
Auf die Schwankungen der Sonnenenergie, also der solaren Leuchtkraft oder der Vulkanaktivitäten, kann der Mensch keinen Einfluss nehmen – das sind die natürlichen Phänomene, die die Entstehung von Wirbelstürmen beeinflussen. Auch Hurrikane sind zum Teil aber hausgemacht. Für die Klimaerwärmung, den Treibhauseffekt, die Zerstörung der Ozonschicht und Oberflächenveränderungen wie Verstädterung und Urwaldabholzung ist – neben zufälligen Effekten – auch der Mensch verantwortlich. Sein Eingriff ins Energiesystem des Klimas wird immer grösser, er ist nun etwa in der Dimension der natürlichen Phänomene. Der Mensch kann also Einfluss nehmen – nur schon mit einem verringerten Verbrauch fossiler Brennstoffe.
Er tut dies aber nicht. Oder ist denn das – von den USA nicht unterzeichnete – Kyoto-Protokoll von 1997, das zur drastischen Eindämmung der CO2-Emissionen verpflichtet, mehr als ein Fetzen Papier?
Das Kyoto-Protokoll hat vor allem dazu geführt, dass die Weltöffentlichkeit das Problem Klimaerwärmung endlich wahrgenommen hat. Es ist von der Idee her ein phantastisches Mittel, um auf der Ebene der Weltgemeinschaft etwas zu tun. Das Problem ist allerdings, dass es bis jetzt nicht greift. Es ist tragisch für die Umwelt, dass die USA und Russland das Kyoto-Protokoll nicht ratifiziert haben. Ich frage mich, ob man nicht versuchen müsste, ein neues, griffiges Abkommen auszuhandeln. Immerhin ist beachtenswert, dass Tony Blair eben erklärt hat, er wolle sich beim amerikanischen Präsidenten für die Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls stark machen.
Ihnen als Klimaforscher kann es wohl nicht gleichgültig sein, wer amerikanischer Präsident wird?
Ich hoffe, wie meine amerikanischen Berufskollegen, dass auch die USA (und Russland) in Zukunft mitziehen werden – mit welchem Präsidenten auch immer. Mag sein, dass die Chance dazu mit einem demokratischen Präsidenten grösser wäre, ich zweifle aber, ob es einen US-Präsidenten mit Power für die Umwelt geben wird. Eine grosse Frage für mich ist auch, ob und wie es gelingen soll, arme Länder so zu unterstützen, dass sie sich gegen die Umweltgefahren schützen können. Da sind gigantische Geldmengen nötig.
Wo steht da die Schweiz?
Die Schweiz hat das Kyoto-Protokoll wie viele andere Staaten ratifiziert, ist aber weit davon entfernt, es wirklich umzusetzen. Es ist ja nach wie vor offen, ob und in welcher Form eine CO2-Abgabe kommt. Mich beschäftigt, dass wir bei den Brennstoffen, im industriellen Bereich oder bei den Heizungen Möglichkeiten für Erfolg versprechende Massnahmen haben, bei den Treibstoffen jedoch nicht. Im Strassenverkehr sehe ich leider keine Möglichkeiten, wie dem Kyoto-Protokoll entsprochen werden kann, weil notwendige Massnahmen politisch chancenlos sind. Das Ja des Nationalrats diese Woche zur Formel 1 ist symptomatisch – ein bedenkliches Signal.
Einschränkungen im Strassenverkehr sind unabdingbar, um die Kyoto-Vorgaben zu erfüllen?
Ja. Wenn die Schweiz Erfolg haben will, muss sie in beiden Bereichen Reduktionen und Stabilisierungen vorweisen können – bei den Brennstoffen und Treibstoffen. Ich weiss jedoch nicht, wie wir die Sache bei der Zunahme der Mobilität und des Strassenverkehrs erreichen wollen.
Was würden Sie als Klimaforscher dem Bundesrat raten?
Da bin ich selber einigermassen ratlos, obschon es Ansätze gibt: etwa Einschränkungen des Verkehrs in den Städten, verkehrsfreie Städte an gewissen Wochenenden, Beschränkungen der enormen Freizeitmobilität – und vor allem eine massive Verteuerung der Treibstoffe. Nur ein Bündel von Massnahmen kann etwas bringen. Zum Beispiel auch etwa die billigen Weekend-Flugarrangements sind doch unsinnig.
In der Schweiz schmelzen die Gletscher, Naturereignisse wie Lawinen, Murgänge, Felsstürze oder Überschwemmungen häufen sich. Was heisst das?
Es zeigt, wenn wir so weitermachen, dass wir immer mehr Energie in der Atmosphäre haben, die zu höheren Temperaturen und eben zu mehr solchen Folgeeffekten führen, etwa zu stärkeren Regen- und Windereignissen. Der Alpenraum mit den steilen Hängen und der damit grossen Reliefenergie ist besonders gefährdet.
Im Winter wird es vermehrt regnen?
Es wird zwar weiterhin einzelne extreme Winter geben, doch die Schneefallgrenze steigt an, das Abschmelzen wird schneller erfolgen, viele Flüsse werden im Sommer weniger Wasser führen.
In ein Skiliftprojekt auf 1500 m ü. M. würden Sie nicht investieren?
Höchstens an Nordhängen. Unterhalb von 1500 m muss man sich grösste Gedanken machen, der Schweizer Tourismus muss sich auf neue Szenarien einstellen. Und er tut dies auch, die Tourismusfachleute sind flexibel.
Was leisten Sie persönlich für einen Beitrag an eine bessere Umwelt?
Ich halte viele Vorträge, um die Leute zu sensibilisieren. Und ich versuche, möglichst mit Bahn, Bus, Velo oder zu Fuss unterwegs zu sein und vernünftig Auto zu fahren. Als Forscher fliege ich aber oft – und mit schlechtem Gewissen.
Sie zeichnen ein pessimistisches, deprimierendes Bild. Gibt es am Horizont aber auch so etwas wie einen Optimismus-Silberstreifen?
Ja – die erfreuliche Tatsache, dass das Umweltbewusstsein in den letzten zwanzig Jahren weltweit stark gestiegen ist. Ich hoffe deshalb, dass aus dem Kyoto-Prozess doch noch etwas Gescheites entsteht. Sonst wird halt eben eintreten, was die Biologen oder Anthropologen voraussagen: dass der Mensch sich einmal selber ausrotten wird. Doch dies wollen wir ja nicht hoffen.
EXTRA
Heinz Wanner
Der 59-jährige Berner Klimaforscher Heinz Wanner ist seit 1988 Professor für Physische Geografie, speziell für Klimatologie und Meteorologie, an der Universität Bern, die in der Klimaforschung eine lange Tradition hat und internationales Ansehen geniesst (
www.giub.unibe.ch/klimet). Wanner ist Leiter des Nationalen Forschungsschwerpunkts Klima und Mitglied verschiedener internationaler Fachgremien, neu auch Direktor des International Past Global Changes Programme (Pages). In den 1980er-Jahren war er an der Colorado State University in Fort Collins tätig, wo Professor William Gray, der weltweit renommierteste Hurrikanforscher, lehrte.
Heinz Wanner ist Vater einer erwachsenen Tochter und lebt in Boll.