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Beaufortskala und ihre Anwendung

Verfasst: Di 3. Okt 2006, 21:51
von Federwolke
Bei der Bezeichung von Windstärken gibt es nicht nur bei Laien, sondern auch unter Profis immer wieder Verwirrungen. Dabei gehört die Bedeutung und Anwendung der Beaufortskala zum Grundwissen eines jeden Sturmforum-Mitglieds, also höchste Zeit, dies wieder mal aufs Tapet zu bringen ;-)

Die Beaufort-Skala (Windstärke, Auswirkung auf die Umwelt, Bezeichnungen, Umrechnung in verschiedene Masseinheiten): http://de.wikipedia.org/wiki/Beaufortskala

Sehr wichtig ist dabei, dass sich die Skala auf die 10minütigen Mittelwerte bezieht. Der häufigste Fehler der passiert ist, dass von Sturm gesprochen wird, sobald die Böen 75 km/h erreichen. Sturm ist aber erst, wenn der Mittelwind diesen Wert erreicht. Für Böen sollte man daher nie die Beaufort-Skala verwenden, denn dafür war sie nie gedacht.

Um das noch etwas zu verdeutlichen: Da die Beaufort-Werte anhand der Auswirkungen bzw. Schäden auf die Umwelt ermittelt werden, ist die Auswirkung der Böe immer im mittleren Windgeschehen mit einbezogen. Anders gesagt:
Der Wind ist eine sehr stark schwankende Grösse. Wenn wir ihn an einer Stelle fühlen oder messen, dann stellen wir fest, dass er sich ständig - quasi von Sekunde zu Sekunde - ändert, und zwar in seiner Richtung und in seiner Stärke. Bei stärkeren Winden nennen wir diese Eigenschaft Böigkeit. Das Schwanken des Windes erfolgt um einen Mittelwert, z.B. können wir ein Zehnminuten-Mittel feststellen. Die Schwankungen sind häufig so gross, dass ein einzelner Windstoss - eine Bö - mehr als doppelt so stark sein kann wie der mittlere Wind. So beobachtet man bei einem mittleren Wind der Stärke 8 der Beaufort-Skala, das ist ein "stürmischer Wind" mit mittleren Windstärken zwischen 62 und 74 km/h, durchaus Böen von mehr als 100 km/h, ja sogar 120 km/h. Bei dem zerstörerischen Potential solcher Böen kommt es nun wieder darauf an, wie lange eine solche Bö andauert, in welcher Häufigkeit solch starke Windstösse aufeinanderfolgen und aus welchen Richtungen sie kommen. Man sieht aus diesen kurzen Erörterungen, dass es mit der einfachen Angabe einer Windstärke nicht getan ist, weil der vektorielle, ständig schwankende Wind eine recht komplizierte physikalische Grösse ist.
Der Wind bringt so für alle ihm ausgesetzte Gegenstände eine ständig schwankende Belastung, die dann noch mit dem Schwingverhalten des Gegenstandes, z.B. eines Baumes, zusammenwirkt. Der Baum ist also nicht nur dem Winddruck ausgesetzt, der der mittleren horizontalen Windstärke entspricht. Vielmehr wird er durch die Böen auch noch aufgeschaukelt und kann gerade durch diese perdiodisch wirkenden Kräfte zu Fall gebracht werden. Eines der eindrucksvollsten Beispiele für diese dynamisch wirkenden Windkräfte ist die Zerstörung der ersten Hängebrücke über die Tacoma Narrows nahe der Stadt Tacoma im Staate Washington im Nordwesten der USA im Jahre 1940 (siehe Link unten).
(...)
Die mit dem Wind verbundenen Luftdruckschwankungen betreffen nicht nur den Staudruck im Luv des angeströmten Hindernisses. Es bilden sich vielmehr im Lee Unterdrucke bis zu einigen hPa. (...) Typisch ist der Unterdruck bei Überströmen eines Dachfirstes durch Winde von Sturmstärke. Der Unterdruck sorgt dafür, dass die Dachziegel quasi abgesaugt werden und so ein grosser Schaden an der Dachbedeckung entstehen kann.


Kraus Helmut und Ebel Ulrich, Risiko Wetter - Die Entstehung von Stürmen und anderen atmosphärischen Gefahren,
2003 Springer Verlag Berlin


http://www.bernd-nebel.de/bruecken/4_de ... acoma.html

Beaufortskala und ihre Anwendung

Verfasst: Di 3. Okt 2006, 22:28
von Reto Arosa/ZH/SO
Hoi Fabienne
Ok, die Unterscheidung zwischen schwerem Sturm und Sturmböen, sowie Orkan und Orkanböen sollte man für die, die es ganz genau nehmen, auf der Seite von Meteonews noch ändern.
Ich finde es toll, dass du von früh bis spät immer so aufmerksam bist Federwolke. :-D Hoffentlich ist in Österreich auch alles so perfekt! :=(

Herzliche Grüsse nach Wien
Reto
- Editiert von Reto Schlieren+Arosa am 04.10.2006, 23:39 -

Beaufortskala und ihre Anwendung

Verfasst: Mi 4. Okt 2006, 23:01
von Andreas -Winterthur-
Hallo Fabienne

Mindestens die modifizierte Beaufortskala von 1949 (mit den Auswirkungen auf dem Land) wäre dann noch mit Fragezeichen zu versehen. Demnach brechen oder entwurzeln Bäume ab Beaufort 10, also schwerem Sturm oder mittleren Windgeschwindigkeiten von 88,9 ? <103,7 km/h, rsp. Böen von etwa 160 bis 180 km/h (gemäss Zitat aus Risiko Wetter) :-/

Also entweder sind unsere Bäume etwas in die Jahre gekommen, oder diese Beaufortskala ist nicht 1:1 auf unser Ökosystem anwendbar. Entwurzelte Bäume treten bei uns mindestens schon ab Beaufort 8 auf.

Gruess Andreas

Beaufortskala und ihre Anwendung

Verfasst: Mi 4. Okt 2006, 23:52
von Federwolke
Hoi Andreas

Kann mir schon vorstellen, dass insbesondere unsere Monokulturen-Wälder im Mittelland anfälliger sind. Der grosse Fichtenbestand, der aus ökonomischen Gründen künstlich angelegt wurde, gehört nicht hier hin, sondern in höhere Lagen. Höhere Krankheitsanfälligkeit, Borkenkäferplage etc sind die bekannten Folgen. Dass dadurch die Sturmfestigkeit sinkt, ist nur eine logische Folge.

Andersrum ist unsere Bausubstanz wahrscheinlich sturmresistenter als auf der Skala angegeben. Jedenfalls sah ich nach Lothar kaum Gebäudeschäden an neueren Bauten, während älteren Bauernhäusern in der Region Burgdorf die halben Dächer fehlten.

Beaufortskala und ihre Anwendung

Verfasst: Do 5. Okt 2006, 11:58
von Skywatcher
Sali Federwolke

Danke für den informativen Beitrag.

Ist meine Folgerung also richtig, dass man Tiefs, resp. Stürme nach den von ihnen produzierten Wind-Mittelwerten benennen soll? Oder anders gesagt: ein Tief, das während mindestens 10 Minuten Wind-Mittelwerte von über 118,5 km/h produziert, ist ein Orkan-Tief, bei 80 km/h ein Sturm-Tief, usw.?

Grüsse
Olivier

PS: Ich habe seit kurzem eine Wetterstation zu Hause. Ich fragte mich bis heute, weshalb sie beim Wind ausgerechnet den 10-Minuten-Mittelwert (und nicht 2 oder 5 Minuten, etc.) anzeigt...

Beaufortskala und ihre Anwendung

Verfasst: Sa 7. Okt 2006, 15:15
von Peter,Walchwil ZG
@Olivier,
kleine Korrektur
bei 80 km/h ein Sturm-Tief


Als Sturm gilt bereits die Geschwindigkeit von 75,9km/h,siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Beaufortskala

Ich fragte mich bis heute, weshalb sie beim Wind ausgerechnet den 10-Minuten-Mittelwert (und nicht 2 oder 5 Minuten, etc.) anzeigt...


Das wurde von der WMO so festgelegt.
http://de.wikipedia.org/wiki/World_Mete ... ganization

Beaufortskala und ihre Anwendung

Verfasst: Fr 24. Nov 2006, 14:19
von Kleibi
tja, auch wenn das schon eine ältere Diskussion ist, so hätte ich doch noch eine Bemerkung zu Andreas:

Nebst dem, dass was Federwolke gesagt hat und der Tatsache, dass die Anzahl gefällter Bäume ja nicht sprunghaft ab Windstärke 10 ansteigt (ist ja vermutlich eher eine Normalverteilung Anz. gefällter Bäume vs Windstärke) ist noch etwas weiteres zu beobachten:
Besonders bei kristallinem Untergrund, wo wenig Kationen Säure abfangen können (dies machen v.a. Ca und Mg-Ionen) ist der Boden-pH im letzten Jahrhundert stark gesunken. Trotz nun geringerem SO2-Eintrag erholen sich die Böden nicht von heute auf morgen. Bei saurem pH lösen sich aber viel mehr Aluminium-Ionen aus dem Bodenmineralien, welche in hohen Konzentrationen toxisch für die Pflanzen sind. Also versuchen die Baumwurzeln diesen giftigen Zonen auszuweichen (die meist erst unterhalb der Humusschicht beginnt) und wurzeln so flacher (und auch schwächer). Das macht die Wälder sturm und trockenheitsanfälliger.
So weit meine Kenntnisse...