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Von der Sahara in die Nordsee - Sommerwetter in Mitteleuropa

Verfasst: Mo 24. Jun 2013, 10:16
von Tinu (Männedorf)
Von der Sahara in die Nordsee - Sommerwetter in Mitteleuropa

Hoi zäme

In diesen Tagen erleben wir wieder einmal eindrücklich, zu welcher Variabilität das Wetter in unseren Breiten fähig ist. Anbei ein kurzer synoptischer Vergleich der höchst unterschiedlichen Wetterlagen von dieser und letzter Woche.

1. Ein Gruss aus der Sahara

Noch Mitte letzter Woche sah es über Mitteleuropa folgendermassen aus:
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Ein Höhentrog über der Biskaya wirkte damals aus Schweizer Sicht als eigentlicher Wettermotor. Der Alpenraum lag unmittelbar auf der Vorderseite dieses Troges, sozusagen inmitten der „Warmluftdüse“. Die Luft, die im Rahmen dieses Strömungsmusters zu uns transportiert wurde, war subtropischen Ursprungs. Die 850hpa-Trajektorien (Luftmassenherkunft auf ca. 1500 Meter über Meer) für diesen Tag (12 UTC) zeigen die südländische Herkunft dieser heiss-feuchten Luft:
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Sehr eindrücklich sind bei solchen Lagen stets die Karten, welche die Temperatur im 850hpa-Niveau zeigen. Wir sehen darauf am 19. Juni eine mächtige rote Blase über ganz Zentral- und Südosteuropa. Die 850er-Temps überstiegen in diesen Tagen die 20 Grad-Marke teils deutlich. Allerdings muss betont werden, dass sich der Dienstag vielerorts noch hitziger präsentierte als der für diesen synoptischen Vergleich gewählte Mittwoch. Am Dienstag stiegen an vielen Flachlandstationen des Schweizer Mittellandes die Temperaturen dank kräftiger Sonneneinstrahlung verbreitet auf 32 bis 35 Grad. Am Mittwoch – der hier auf den Karten dargestellt wird – sorgten hingegen hohe Bewölkungsfelder, die von Gewittertürmen über dem Tessin und der Surselva herrührten, in weiten Teilen der Schweiz für vergleichsweise gedämpfte Hitzewerte. Dies, obwohl das Potenzial für neuerliche Höchstwerte rein aufgrund der Luftmasse eigentlich durchaus gegeben war:
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2. Frische Luft aus Norden

Soweit der Rückblick. Mittlerweile hat sich der Wettercharakter über Zentraleuropa und somit auch bei uns in der Schweiz markant verändert. Der ehemalige Biskaya-Trog, der uns letzte Woche Subtropen-Hitze gebracht hat, ist nach Osten weitergezogen. Die 500hpa-Karte zeigt nun ein vollkommen anderes Bild:
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Durch das Vorrücken des Troges nach Osten haben sich die Strömungsverhältnisse über unseren Köpfen komplett verändert. Wir liegen nicht mehr auf der Vorderseite des Troges. Die massive WLA, also die Zufuhr von sehr heisser Luft aus Süd/Südwesten wurde abgedreht. Stattdessen wird der Alpenraum zum Zeitpunkt Montag 12 UTC mehr oder weniger exakt auf der Achse des Höhentroges zu liegen kommen.

Sehen wir uns erneut die Trajektoren für den Zeitpunkt Montag 12 UTC an. Wie man sieht hat sich der Herkunftsort der Luftmassen im 850hpa-Niveau im Vergleich zum vergangenen Mittwoch komplett verändert. Die feucht-heisse Pampe aus Afrika wurde durch kühle Meeresluft vom nördlichen Atlantik ersetzt.
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Und wieder sehen wir uns die Temperaturverteilung auf dem 850hpa-Niveau an. Verglichen mit der Situation vom letzten Mittwoch hat ein regelrechter Paradigmenwechsel stattgefunden. Die in der Nordwestströmung herangeführte Luft ist kühl. Die Werte im 850hpa-Bereich liegen um 5 Grad: Also fast 20 Grad weniger (!) als noch am 19. Juni:
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Noch einmal im kleineren Massstab. Zuerst die Situation am 19.6., dann die Situation, wie sie sich heute Abend präsentieren wird. Wohlgemerkt: zwischen diesen beiden Karten liegen nur fünf Tage:
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Dieser Wetterumschwung zeigt einmal mehr deutlich, wie wechselhaft, variabel und spannend des Wetter in unseren Breiten sein kann! Umso spannender wird die Sache, wenn man bedenkt, dass im Prinzip ein und der selbe Faktor (das Höhentief über der Biskaya) für beide Wetterabschnitte verantwortlich zeichnet.

Ausblick: Der kühle, unbeständige Wettercharakter dürfte uns bis mindestens Samstag erhalten bleiben. In diesem Zeitraum gerät der Alpenraum zunehmend in antizyklonalen Einfluss, da sich ein Höhenkeil vom Atlantik her Richtung Zentraleuropa schiebt. In der kühlen Luftmasse sind jedoch dennoch immer wieder Schauer und evt. sogar kurze Gewitter möglich. Besonders interessant ist diesbezüglich der Donnerstag. GFS modelliert den Ausbruch eines Höhenkaltluft-Batzen von der Nordsee direkt an den Alpenraum. Aber dieses Ereignis können wir ja in den kommenden Tagen evt. noch separat betrachten.

Re: Von der Sahara in die Nordsee - Sommerwetter in Mitteleu

Verfasst: Mo 24. Jun 2013, 11:01
von Mathias Uster
Danke, Tinu

Das sind die Beiträge, die ich immer wieder mit Hochgenuss lese und die mir in kleinen Schritten helfen, die Meteorologie besser zu verstehen...

Gruss Mathias

Re: Von der Sahara in die Nordsee - Sommerwetter in Mitteleu

Verfasst: Mo 24. Jun 2013, 11:26
von Dani (Niederurnen)
Danke für deinen interessanten Beitrag Tinu. Hat Spass gemacht zu lesen und gelernt habe ich auch gleich wieder was.

Gruss Dani

Re: Von der Sahara in die Nordsee - Sommerwetter in Mitteleu

Verfasst: Mo 24. Jun 2013, 11:34
von Tinu (Männedorf)
Danke euch beiden!

Ich muss vielleicht noch korrigierend anfügen, dass die Aussage, wonach ein und derselbe Faktor (Biskayatrog) für beide Wetterlagen verantwortlich ist, nur bei sehr "gebogener Sichtweise" korrekt ist. Das Biskayatief hat sich bis zum Wochenende zwar tatsächlich bis nach Mittleuropa verlagert, allerdings unter stetiger Auffüllung. Letztlich wurde es dann aber von dem neu von den Britischen Inseln herangerückten Langwellentrog "gefressen".

Re: Von der Sahara in die Nordsee - Sommerwetter in Mitteleu

Verfasst: Mo 24. Jun 2013, 12:00
von Dani (Niederurnen)
Hoi Tinu,

Aber der Auslöser für die aktuelle Lage war ja der Biskayatrog. Sein "Pech" das er sich vom Langwellentrog fressen liess.

So hätte sich die Lage wohl von Trog Mitteleuropa zu Trog Britische Inseln gewandelt.

Korrigier mich wenn ich falsch liege.

Gruss Dani

Re: Von der Sahara in die Nordsee - Sommerwetter in Mitteleu

Verfasst: Mo 24. Jun 2013, 12:06
von Tinu (Männedorf)
@Dani

Die beiden Systeme (Biskayatief und Langwellentrog von den Brits her) sind im Verlauf des Wochenendes ineinander verschmolzen. Beim derzeitigen Blick auf die Karte würde ich doch relativ klar von einem Trog Mitteleuropa sprechen.

Die Bestätigung: Synop des Deutschen Wetterdienstes:
Synoptische Übersicht - Kurzfrist
ausgegeben am Montag, den 24.06.2013 um 08 UTC

GWL und markante Wettererscheinungen:
TrM (Trog Mitteleuropa) Heute an den Alpen und im Südosten teils länger andauernder Regen. Sonst wechselhaft mit
Schauern oder kurzen Gewittern.

Re: Von der Sahara in die Nordsee - Sommerwetter in Mitteleu

Verfasst: Mo 24. Jun 2013, 14:38
von grafur Rifferswil
Hallo zusammen

Danke Tinu für die schöne Zusammenstellung. Interessant dazu vielleicht noch die Einordnung der heutigen 850er Temperatur von rund 5 Grad. Klimatologisch gesehen (Vgl. ECMWF TT850 zu ERA-40 Daten) sind wir auf der Alpennordseite doch noch etwa 4 bis 6 Grad über dem Minimum, aber rund 20 Grad unter dem Maximum, bzw. 6 bis 8 Grad unter dem Mittel.

ECMWF TT850 - ERA-40(min):
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ECMWF TT850 - ERA-40(max):
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ECMWF TT850 - ERA-40(mean):
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ECMWF ENS TT850 für Zürich:
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Gruss Urs

Re: Von der Sahara in die Nordsee - Sommerwetter in Mitteleu

Verfasst: Mo 24. Jun 2013, 15:16
von Rontaler
Sali Urs

Herzlichen Dank für die Gegenüberstellung Status Quo vs. Maximum/Minimum! :)

Re: Von der Sahara in die Nordsee - Sommerwetter in Mitteleu

Verfasst: Mo 24. Jun 2013, 15:26
von Alfred
Hoi zäme

Nachdem müssen wir bis zum 3. Juli, im laufe des Morgens :up: warten, bis
auch die 2 mT das langjährige Mittel überschreitet (das wären dann so um
die 20°C, wenn sich das Modell daran hält).

Gruss, Alfred

Re: Von der Sahara in die Nordsee - Sommerwetter in Mitteleu

Verfasst: Mo 24. Jun 2013, 20:29
von Tinu (Männedorf)
@Urs

Danke für die langfristige Einordnung! Es könnte also noch einen Tick kälter sein, ohne dass wir uns allzu grosse Sorgen machen müssten :-D