
Soeben hatte sich beim Genfersee eine Zelle gebildet, die nur wenige Stunden später in Appenzell zu schwersten Verwüstungen führte.
Thread: "NOW, Gewitter 09.-10.07.2011"
http://www.sturmforum.ch/viewtopic.php? ... 4&start=60
Ich sass noch zuhause am Rechner, checkte die aktuellen Wetterkarten und wusste, viel Zeit mir eine Chasingstrategie auszudenken würde mir nicht bleiben. Örtlich zwar korrekt vorhergesagt, aber zeitlich viel früher dran, war die Superzelle nordöstlich von Sigmaringen (Cosmo 2)

Vorhersage für den 10.07.2011, 17 00 Uhr local
Sie war also bereits im Entstehen; in diesem Gebiet uneinholbar. Alternativen: Schmerikon / Linthebene (wie ich um 13:08 Uhr vorhergesagt hatte), oder oberes Rheintal. Doch ich entschied mich an den Urnersee zu fahren und die Zelle dort abzufangen. Danach würde ich mich für oder gegen ein Chasing in Norditalien entscheiden. Die dortigen CAPE von 2'600 J/kg, LI's von -8, TP's von 23° Grad Celsius usw. jucken eben schon unter den Fingernägeln!
Cosmo 2 bei Mailand doch mit schönen Signalen drin (19:00 Uhr local):

GFS zeigte auf den Karten zwar stellenweise CIN-Werte von - 300 J/kg und mehr; ein massiver Deckel, der zuerst gehoben werden muss. Obwohl westlich von Turin die CIN nur bei -20 J/kg lagen. Ich hatte ältere Läufe (von GFS), in denen auch das Südtessin gedeckelt war. Bei den aktuellen ANETZ-Karten war aber davon nichts zu sehen. Na ja, volles Risiko. Denn wenn der Deckel einreisst, dann wusste ich, würden die Zellen regelrecht explodieren. Und da wollte ich schon lange mal in Norditalien dabei sein, sozusagen live
Ich fuhr zum Urnersee, wo nur wenige Minuten nach Ankunft, mich die vom Genfersee kommende Zelle überrollte, während der nördliche Teil der Linie sich neu bildend und extrem verstärkend soeben Appenzell unter Wasser setzte.
Ich fuhr nach Amsteg, checkte das Radar, sah eine kleine blitzaktive Zelle aus SW auf mich zukommen, doch sie schwächte ab und ich stand sehr ungünstig. Beim nächsten Radarcheck sah ich im 30-Minuten-Loop südwestlich bei Turin zuerst nichts, dann ein Bild mit einem kleinen grünen Fleck, dann sofort gelb und lila mit vielen Blitzen drin.
Sie triggerte zwar langsam südöstlich, aber zuversichtlich fuhr ich sofort auf die Autobahn gegen Süden. Kurz nach dem Gotthardtunnel kam das SMS von Andreas (Winterthur), er hoffe, ich sei nach Mailand unterwegs, um das gewaltige Teil bei Turin zu chasen. Ja, das Teil war inzwischen riesig.
Um ca. 20:40 Uhr in Chiasso angekommen, machte ich bei der Shell-Tankstelle den üblichen Stop: volltanken, Kühlbox füllen, Radarcheck....
Doch die Turiner-Zelle war im Begriff abzusterben....; doch zu hoch gepokert?
Im Gegensatz zur Schweiz und Deutschland ist das Chasen in Norditalien manchmal erschwert, weil die Smogglocke der Grossstädte, aber auch die hohe Luftfeuchtigkeit die Sicht auf die Zellen einschränken. Doch im Dunst und im Licht der untergehenden Sonne entdeckte ich plötzlich Congestus-Strukturen bei Mailand, die im Expresstempo wie überschäumende heisse Milch nach oben schossen. Das ist sie!
Ich rief Ben (BaWü) an und bat ihn um ein kurzes Nowcast, denn ich war bereits im "Blindflug" (d.h. ohne Radar) nach Mailand unterwegs. Nach nur 20 Minuten die ersten Blitze, direkt vor mir. Nach weiteren 5 Minuten bog ich in die A4 nach Brescia ab und hielt an der Raststelle am Nordring, als das Gewitter bereits rund herum tobte.
Ich fuhr in Richtung Brescia, mit Ziel Gardasee, immer kurz vor oder in der Front. D.h. genau genommen (nach meiner Beurteilung) schienen die Zellen immer wieder in sich zusammenzufallen, um östlich wieder neu zu entfachen. So entstand der subjektive Eindruck von mehreren Wellen, bis ich in Brescia ankam und die mittlerweile dritte Welle in den nördlichen Teil des Gardasee's hineinblitzte.
23:20 Uhr. Komplette Ruhe an der Raststätte, wo ich mir ein Sandwich kaufte. Irritiert setzte ich mich auf ein Mäuerchen. Doch dann meldete sich mein Bauchgefühl und "sagte", dass erst jetzt noch der grosse Knall bevorstehe. Ich schrieb um 23 24 Uhr ein SMS an Andreas "Da kommt noch was!"
Kaum geschrieben, kaum einen Schluck Cola getrunken, bei meiner Foccacia erst bis in die Hälfte gekommen, zuckte hinter mir westlich der erste Blitz der sich neu bildenden Zelle. Auf dem Weg zu einem guten Spotterplatz am Gardasee brach sie brutal über mich hinein. Im Extremniederschlag und den Sturmböen musste ich umgestürzten Bäumen auf der Strasse ausweichen und hatte keine Zeit zu filmen oder zu fotografieren.
Im unten verlinkten Videomaterial auf Youtube ist also nur der Teil vor und nach dem Durchzug der Zelle sichtbar. Schliesslich positionierte ich mich bei Peschiera am Hafen:

Zu Spitzenzeiten zählte ich 3-4 Blitzentladungen pro Sekunde, vorwiegend CC's. Das Spektakel war aber gigantisch und gg. 02 00 Uhr morgens war dann Schluss.
Hier das Video:
http://www.youtube.com/watch?v=F1AtXTS5Wls
Vorschaubild:
Gruss Cyrill
