Hoi Urbi & all
Einmal mehr Urbi, vielen herzlichen Dank für das Posten von Sat.-Bildern und (wie in diesem Fall einer extrem explosiven Entwicklung) Animationen (Dein Link). Sie sind nicht nur für die Analyse sehr hilfreich, sondern auch für künftige Chasings in einer von mir noch nicht ausgiebig erkundeten Gegend um Nancy.
Chasingbericht, 19.06.2013:
Bei solchen Distanzen ist es immer eine zentrale Frage nach der optimalen Route, um eine Zelle abzufangen, sowie eine Entwicklung einzuschätzen, vor allem in solch atypischen Lagen, die im Forecast ziemlich Fingerspitzengefühl abverlangen. Aber ich liebe ja die spezielle Herausforderung und bei dieser Gelegenheit wollte ich insbesondere den neuen Superzellen-Parameter von Janek (WRF-ARW) testen, den er zwei Tage zuvor als neuen Composite-Parameter eingerichtet hatte.
Die Gewitter, die seit geraumer Zeit auf Nordkurs ins Pariser-Becken unterwegs waren, blieben unerreichbar. Eine Auslöse in der Schweiz hielt ich für ausgeschlossen, auch in grenznahen Gebieten.
ESTOFEX setzte mal halb Europa unter Level 1 und grenzte ein Level 2-Gebiet ein von rd. 250 000 km2 ein (rd. 6 mal so gross wie die Schweiz), was als groben Anhaltspunkt dienen kann.
Einen Moment lang dachte ich schon "Ooouups, da trocknet ja alles in Richtung Nancy (mein Target) ab." Aber ich vertraute auf den erkennbaren südöstlichen Anbau der gesamten Gewitterlinie und auf Janeks Karten.
Denen gemäss müsste es um 18z (03z-Lauf) auf Höhe Besançon auslösen (Zellen auf N/NNE-Kurs):
Nach dieser WRF-Karte hätte ich Basel-Belfort-Vesoul fahren müssen, doch irgend ein Gefühl sagte mir, dass die Auslöse nördlicher - wenn auch zeitlich korrekt - sein müsste, was aufgrund des 06z-Laufs von GFS nachvollziehbarer war (stelle hier mal nur die CAPE-Karte hinein, auch wenn - wie kürzlich oft hier im Forum richtigerweise gesagt wurde - diese Karte allein KEIN Gewittergarant ist; da gehört mehr dazu. Zudem stellt man hier im direkten Modellvergleich GFS vs. WRF, alleine schon in Bezug auf die Mixed Layer CAPE, deutliche Unterschiede fest):
Zeitlich doch eher knapp dran, wählte ich die Route Winterthur-Embrach-Glattfelden-Eiken (um den Zürcher Agglo-Stau zu umgehen) - Rheinfelden - Colmar (F). Dann nach Westen durch den Tunnel nach St. Die-des-Vosges. Bereits ab Colmar konnte man bei den Überkopf-Signalisationen auf der Autobahn "Orage violant annoncé" in deutlichen orangen Lettern erkennen (Anm.: wäre auch mal für die Schweiz eine brauchbare Idee!). Méteo France warnt die Bürger; bei Chasern kommt - noch unter blauem Himmel fahrend - Vorfreude auf
Keraunos sprach in der Vorhersage von "atteignant isolément jusqu'à 5.000 J/kg sur le nord de la Lorraine." Zudem von: "possibilité de sommets pénétrants jusqu'à 14 voire 15 km d'altitude". Also müsste etwas zu sehen sein, wenn...
Oberhalb einer trüben, dunstigen Schicht zeichneten sich schwach Strukturen des obersten Stockwerks der Pariser-Zelle ab. Ansonsten war die Sicht in den Vogesenschluchten und der Empfang von Internet sehr eingeschränkt. 19:40 Uhr, kurze Absprache mit Ralph und Phil, um brauchbare Nowcast-Informationen (Radar, Sat.-Bilder) einzuholen (Danke!). Doch es war noch nichts erkennbar (was mir jetzt bei der Analyse klar wird), obwohl ich auf 20 00 Uhr MESZ (18z) mit einem südöstlichen Anbau an die Linie gerechnet hatte und im Dunst und Abendlicht ein mickriges Congestus-Köpfchen in südwestlicher Richtung kurz erkennbar war, bevor wieder Hügel und Wälder die Sicht versperrten. Endlich freie Sicht bei La Voivre und ein mächtiger Concestus zeichnete sich deutlich am Himmel ab, der im Zeitraffer-Tempo in den Himmel schoss (wie ich es so erst einmal in Italien erlebte), als fast isolierte, vom Rest der Linie getrennte Zelle. 20 18 Uhr MESZ, Tel. an Phil, der dort nur schwache Signale auf dem Donnerradar sehen konnte. 20 22 Uhr MESZ; die pilzförmige Zelle hatte bereits ihr vollständiges Reifestadium erreicht. Endlich wieder 3G-Internet, Gelegenheit für einen Check. Kurz vor Saint-Clément dann angehalten und die Zelle mit Overshootimg-Top fotografiert (20 28 Uhr / s. Plan unten):
Urbi's Sat.-Animation zeigt diese explosive Entwicklung
perfekt: Von "0 auf 100" in weniger als 30 Minuten

Unglaublich!
Wie geahnt südöstlicher Anbau; hingegen nicht geahnt, dass dieses Monster der nordwestlichen Zelle, die direkt auf Nancy zusteuerte, restlos die gesamte Energie wegfressen und in sich aufsaugen würde. Erste Niederschlagssignale wurden auf dem Donnerradar um 20 30 Uhr bei Dorney (westlich von Epinal) sichtbar:
Bei Saint Clément wäre ich im Grunde fast perfekt positioniert gewesen (Viereck auf der Strecke St. Die - Nancy im Plan), doch ich rechnete der entstehenden Superzelle eine nördlichere Zugbahn zu und verwarf meinen ersten Gedanken, es könnte ein Rightmover sein, der aus dem Track nach rechts in Richtung NE abdrehen könnte und fuhr zu früh los in Richtung Nancy, wo ich im Westen die ersten Blitze (von der seit geraumer Zeit aktiven Zelle) niedergehen sah.
Auf dem Plan sieht man die Region bei Dorney (Rechteck links unten), wo die Zelle ihre ersten NS-Signale zu erkennen gab und ihre Zugbahn via Charmes bis Lunéville (orange Linie), nach rechts ausscherend.
In Nancy angekommen, klappte die nordwestliche Zelle zusammen (gut auf dem Sat-Bild von Urbi zu erkennen) und so fuhr ich der südöstlichen Superzelle in Richtung Charmes entgegen und es reichte gerade noch für einen Corepunch mit fetten Naheinschlägen einiger CGs, wobei (noch) überwiegend Wolkenblitze dabei waren, die nicht so foto- und videogen waren. Als der extreme NS etwas nachliess und ich auch aus dem Bereich des Hagelkerns mit Whiteout und Sichtweiten bis max. 600 Metern draussen war, gelang mir einen Blick auf die Rückseite der Zelle, die erst jetzt richtig Vollgas gab. Selten so extrem erlebt: 1-2 CGs pro Sekunde, Donnerschläge - kein Rollen oder Gerumpel - wie Artilleriegeschütze, wie ein Bombardement einer Stadt

(Anm. zur Laustärke: wie neben der Startbahn eines Flughafens). Im Blitzverlauf vom Donnerradar allesamt unter den Top-Ten der Liste mit mehr als 130 kA!
Als in der Prévision Keraunos von Superzellen, Grosshagel, Tornados und Extremniederschlag schrieb, fiel mir besonders dieser Satz auf, den ich so explizit bei Keraunos noch nie gelesen hatte:
".....et une activité électrique localement très soutenue (densité de foudroiement parfois supérieure à 2 impacts/km²/h.)" Betonung auf "supérieure", worin ich keinerlei Übertreibung feststellen kann (vor allem nach dem Erlebten).
Die spätere Zelle kurz vor Mitternacht hatte wieder die selbe Zugrichtung, praktisch mit Kurs nach Norden, wie diejenigen am Nachmittag. Deshalb fuhr ich nicht nach Toul (westlich von Nancy), sondern gleich nach Metz:
Ralf's Rat am Telefon, die Autobahn vor Metz bei Ars sur Moselle zu verlassen und mich etwas westlich in der Zugbahn der heranrollenden Zelle zu positionieren, war im Grunde goldrichtig. Ich suchte mir den Weg über Gravelotte nach Doncours les Conflans, wo ich von einem idealen Spotterplatz aus die flackernde Gewitterzelle mit 90% ICs und leisem Gegrummel auf mich zukommen sah. Ich fuhr nach Jarny, Corepunch Nr. 2 an diesem Tag, 2 Naheinschläge, viele CCs / ICs und heftige Windböen. Doch plötzlich "sprang" der Zellkern nach Metz, wo östlich von mir innert Minuten mehr CGs "produziert" wurden.
Kurz nach dem Durchgang der Zelle sank die Sichtweite (im Nebel) auf rd. 150 m; überall Nebel und auf den Strassen haufenweise kleine Äste und zerhacktes, grünes Laub.
In der Nacht auf den 20. fuhr ich in Richtung Schweiz und übernachtete auf dem Col du Bonnehomme (Vogesen), von wo aus am Morgen die Gewitterjagd gleich weiter ging....
Zum "Tornado"-, bzw. Starkwindereignis in Frankreich an diesem Tag in Étrochey, hier noch zwei Videos mit Schadensbilder:
http://www.dailymotion.com/video/x113j1 ... cQxI9E6mUk
Spektakulär:
Schadensinspektion mit einer kamerabestückten Drohne, gleich danach:
http://www.dailymotion.com/video/x113k4 ... cTFD9E6mUl
So etwas wäre auch im Projekt "Flying Doppler" vor einigen Jahren zum Einsatz gekommen......
Gruss Cyrill