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Messgrössen zu Gewitterzellen

Erdbeben, Kameras, Forumkritik usw.
Matthias_BL
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Messgrössen zu Gewitterzellen

Beitrag von Matthias_BL »

Hoi zäme,

Habe heute einem interessierten Newbie zu erklären versucht, was da mit den Zellen im Wallis und bei Genf so abgeht und er hat eine interessante Frage gestellt:

Gibt es eine Stastik von Messgrössen zu Gewitterzellen ?

z.B. höchster je gemesse Aufwind in km/h ? (Bei Gooogle finde ich nur "....in kräftigen Gewitterwolken wurden Aufwinde mit Geschwindigkeiten von knapp über 30 m/sec = über 100 km/h) gemessen.")

oder z.B. wie gross können die Hagelkörner in der Mitte der Zelle werden ? Ebenfalls bei Google finde ich "...Die erwähnten starken Auf- und Abwinde vermögen selbst grössere Eispartikel mehrmals zu packen und wiederholt nach oben in kältere Bereiche zu schleudern. So wachsen sie immer mehr und können sich zu teils schweren Hagelkörnern entwickeln..."
Hm. Wie gross ist "teils schwer" ?

...oder aber auch andere Messgrössen zu Gewitterzellen wie Temerpaturgefälle, Druckdifferenzen usw... ?

Gibt's so was ?

grüsse
Matthias

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Alfred
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Messgrössen zu Gewitterzellen

Beitrag von Alfred »

@Matthias, sali

     Die Grösse kann man ja sehen, wie sie unten ankommen, b.z.w. auf die
Blechkisten einhämmern.

     Wegen der Geschwindigkeit habe ich einmal mit einem Lok.-Führer ge-
sprochen, da mir aufgefallen ist, dass der Zug trotzt erheblicher Grösse
der Hagelkörner die Geschwindigkeit überhaubt nicht drosselte und da ich
annahm, dass der Hagel auch leicht gegen die Zugrichtung herunterfiel und
so sich die beiden Geschwindigkeiten addierten.

     Ich habe mir mal eine Formel notiert betreffend Geschwindigkeit, weiss
aber nicht mehr woher, darum mit Vorsicht zu geniesen:

     Wurzel aus Hagelkorndurchmesser in mm * 3,62 = Meter/sek. (wobei 3,62
     ein empirischer Wert darstellt).

Und wieso sind Aufwinde konzentrierter, als Abwinde?

Grüsse, Alfred
[hr]


Michael (Dietikon)
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Beitrag von Michael (Dietikon) »

Hallo Alfred,

Ich habe mal eine theoretische Formel für die max. Fallgeschwindigkeit von Hagel hergeleitet. Ich nehme an, dass die Körner die Form einer Kugel haben, was ja ungefähr stimmt. Ich nehme weiter an, dass die max. Fallgeschwindigkeit etwa der Aufwindgeschwindigkeit entspricht. Die Formel lautet: Wurzel aus 215*Durchmesser(in cm) = Geschwindigkeit in m/s.

1 cm = 53 km/h
2 cm = 75 km/h
5 cm = 118 km/h
10 cm = 167 km/h
15 cm = 204 km/h
20 cm = 236 km/h
25 cm = 263 km/h
30 cm = 289 km/h

Gruss, Michael
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Manuela
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Beitrag von Manuela »

@Michael

Hm, diese Formel macht mich irgendwie stutzig...
Wie hoch ist denn die Aufwindgeschwindigkeit, sprich max. Fallgeschwindigkeit? Ist es physikalisch tatsächlich so, dass je grösser der Gegenstand ist, er auch schneller zu Boden fällt? Die Erdanziehungskraft wird ja nicht grösser... Sorry, ich kapier das nicht so ganz.
:(

Gruss, Manu

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Willi
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Messgrössen zu Gewitterzellen

Beitrag von Willi »

Hallo Manuela

Hast recht, ohne Luft würde alles immer schneller und gleich schnell zu Boden fallen, auch ein Stück Papier. Die Luft bremst, je nach Art des Gegenstandes mehr oder weniger. So kommt es zu einem Gleichgewicht zwischen 2 Kräften, und das Hagelkorn fällt irgendwann mit konstanter Geschwindigkeit.

Gruss Willi
Gruss Willi
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Marco (Hemishofen)
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Messgrössen zu Gewitterzellen

Beitrag von Marco (Hemishofen) »

Als ich Michael's Abschätzungen betrachtete, dachte ich sofort an Stokes'sche
Bewegung von Körpern in Fluiden, hab aber im Physikunterricht wohl tief gepennt in
dieser Stunde! Stokes' Gesetz gilt nur für sehr langsame Geschwindigkeiten,
wenn man Zahlen in seine Formel einsetzt mit charakteristischen Werten für
Luft und Hagelkörnli merkt man sehr schnell, dass man um Grössenordnungen daneben ist.

Bin drum mal kurz hinter die Literatur gegangen und einen Artikel von Hannes P. Böhm
gefunden, von 1989: der hat unter Berücksichtigung von Masse, Oberfläche und wirksamem
Querschnitt von typischen Hagelkörnern realistische Werte berechnet. Resultat:

Graupel, Durchmesser 1 - 3 mm: 1 - 2.5 m/s (...scheint extrem wenig?!)
Hagel, Durchmesser 10 mm: 11 m/s (40 km/h)
Hagel, Durchmesser 50 mm: 28 m/s (100 km/h)
Hagel, Durchmesser 100 mm: 39 m/s (140 km/h) :(

Michael's Formel scheint sehr gut zu funktionieren.

Man könnte die Gewitterstärke auch anders charakterisieren, z.B. Niederschlagsmenge, grösse des Niederschlagsgebiets,
Blitzfrequenz, verursachte Hägelschäden uvm.
Aufwindstärke und vielleicht auch räumliche Ausdehnung desselben wäre interessant,
aber schwierig zu messen. Ersteres wurde schon in vielen Modellstudien gebraucht,
schon im letzten Jahrhundert:

right mover Simulation von Weisman und Klemp (1984): 40 - 50 m/s updraft
squall line Simulation von Weisman, Klemp, Rotunno (1988): 20 - 30 m/s updraft
supercell Simulation von Sun (2005): 40 - 60 m/s updraft

Gruss Marco

P.S.: Anfänglich gepostete Grafik mit Stokes' Formel schnell wieder rauseditiert,
bevor man mir meine Schulleistungen aberkennt ;-) hat keiner gesehen, oder?
- Editiert von Marco (BE/TG) am 25.06.2005, 21:35 -
Gruss Marco
-------_/)----

cyba
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Messgrössen zu Gewitterzellen

Beitrag von cyba »

Hoi zämme

Ich habe vor einiger Zeit mal ein Beispiel für den freien Fall mit Luftwiderstand durchgerechnet, hier meine Überlegungen:

Bild

Im Prinzip wirkt die Schwerkraft und der Luftwiderstand. Für den fallenden Körper nehmen wir idealerweise eine Kugel an. Die Kräftebilanz hat dann die folgende Form:

Bild

Der Körper ist am fallen, d.h. die Schwerkraft ist grösser als der Luftwiderstand, die resultierende Kraft ist "abwärts" gerichtet (vor der Stabilisierung).

Die Berechnung der maximalen Fallgeschwindigkeit gestaltet sich einfach. Sie ist erreicht, wenn die sich die Geschwindigkeit nicht mehr ändert (Beschleunigung verschwindet)...man rechne nun mit den entsprechenden Werten...

Bild

Die Lösung der Differentialgleichung ergibt die momentane Fallgeschwindigkeit (d.h. v(t) ).

Bild

Bild

Die Integrationskonstante C finden wir mit Hilfe einer Anfangsbedingung heraus: Zur Zeit t=0 befand sich das Hagelkorn in einer Höhe z (unten falsch notiert) mit der Geschwindigkeit v=0. Dann ergibt sich für C:

Bild

Nun ist man in der Lage, die Geschwindigkeit zur Zeit t zu berechnen (man braucht dafür Dichte, c-Wert, ...).

Hier noch kurz einen "Beweis" für das Erreichen der Maximalgeschwindigkeit:

Bild

Ein Problem (von vielen anderen) ist, dass sich beim Hagelkorn während der Flugphase die Masse verändert, dem müsste wahrscheinlich auch Rechnung getragen werden...

Grüsse

P.S.: Wenn ich das nächste Weekend Zeit habe, rechne ich mal ein Beispiel mit entsprechenden Werten durch.
- Editiert von cyba am 26.06.2005, 17:35 -


Michael (Dietikon)
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Beitrag von Michael (Dietikon) »

Hallo Marco,

Das Gesetz von Stokes kann man nur für laminare Strömungen anwenden. Man muss die Formel für Strömungswiderstand in turbulenter Strömung nehmen. Diese lautet:

Fw(Widerstandskraft) = 1/2 * rho * cw * v² * A

rho = Dichte d. Mediums (in unserem Fall von Luft)
v = Geschwindigkeit
A = Stirnfläche d. Körpers (in unserem kugelförmigen Hagelkorn ist es eine Kreisscheibe)
cw = Widerstandskoeffizient

siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/CW-Wert

Der cw-Wert ist das Hauptproblem, da dieser von der Form des Körpers abhängt und stark variieren kann. Ich habe einen cw-Wert von 0.47 angenommen. Das ist der beste Wert, den ich für eine glatte Kugel in der Literatur gefunden habe. Natürlich ist ein Hagelkorn nicht glatt und meistens eher eierförmig. Ich habe aber ganz frech angenommen, dass sich beide Effekte gerade aufheben. ;-)

Mit der Formel kann man witzige Sachen machen. Z. B. gilt ja, dass die max. Aufwindgeschwindigkeit in m/s etwa Wurzel aus CAPE/2 ist. Kennt man CAPE, kann man die theoretische Hagelkorngrösse ausrechnen.

D = (Wurzel(CAPE/2) * 1/Wurzel(215))² = Theoretische Hagelkorngrösse in cm

CAPE 100 J/kg = 0.2 cm
CAPE 500 J/kg = 1.2 cm
CAPE 1000 J/kg = 2.3 cm
CAPE 2000 J/kg = 4.7 cm
CAPE 5000 J/kg = 11.6 cm
CAPE 10000 J/kg = 23.3 cm

CAPE-Werte von über 10000 J/kg werden meines Wissens nur in Bangladesh erreicht. Dort soll es auch die grössten Hagelkörner weltweit geben. Das würde bedeuten, dass Aufwindgeschwindigkeiten von 260 km/h dort theoretisch möglich wären.

Viele Grüsse,
Michael

Ergänzung:

Es handelt sich natürlich um die theoretisch "maximale" Hagelkorngrösse. Die Körner können auch kleiner sein.
- Editiert von Michael (Untersee) am 27.06.2005, 16:40 -
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Marco (Hemishofen)
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Messgrössen zu Gewitterzellen

Beitrag von Marco (Hemishofen) »

@cyba: sehr schöne und ausfühliche Herleitung, besten Dank,
bin gespannt was für Zahlen bei dir herauskommen.

@Michael: danke für die Physik-Nachhilfe, die laminaren Fälle
begeistern uns Sturmforumianer ja weniger ;-)

Gruss, Marco
Gruss Marco
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Manuela
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Beitrag von Manuela »

Für mich hat sich die Sache erledigt. Ich verstehe nur Bahnhof... Ich überlasse das Berechnen der Hagelkorngrösse und Fallgeschwindigkeit lieber einem "Profi"- ich wäre nicht einmal in der Lage, eine einzige Formel anwenden zu können...
Trotzdem interessant (und lehrreich ;-) )

Gruss Manu

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