Hallo,
hier ein äusserst interessanter Artikel zum Thema in der FAZ:
Weltklima,
Vergeßt Kyoto!
28. August 2005 Für die Medien, und auch für etliche Wissenschaftler, ist die Klimadebatte gelaufen. Zu klar zeigen die vom International Panel on Climate Change (IPCC) angehäuften Befunde, daß die Welt sich mit alarmierender Geschwindigkeit aufheizt und daß der Hauptgrund dafür in den Treibhausgasen zu suchen ist - vor allem im Kohlendioxyd CO2.
Also müssen wir handeln, heißt es. Das Kyoto-Protokoll müsse umgesetzt werden, und wenn es 2012 ausläuft, haben noch drastischere Einschnitte in den CO2-Emissionen zu folgen. Im Jahr 2050 muß der Ausstoß um 60 Prozent unter den Wert von 1990 gedrückt sein.
Prioritätenliste: „Kopenhagener Konsens”
Diese Forderungen stützen sich auf Befunde, von denen behauptet wird, sie seien so wasserdicht wie die Erkenntnis, daß Rauchen Krebs verursacht oder daß HIV der Erreger von Aids ist. Wer den vom Menschen hervorgerufenen Treibhauseffekt anzweifelt, muß ein Lobbyist der Ölindustrie sein. Wer das Kyoto-Protokoll nicht unterschreiben will, hat offenbar ähnlich gelagerte Interessen.
Doch der Kyoto-Prozeß wird nicht nur von der Regierung Bush und der Öl-Lobby kritisch gesehen. Im vergangenen Jahr veröffentlichte eine Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern, darunter mehrere Nobelpreisträger, den „Kopenhagener Konsens”. Er besteht aus einer Prioritätenliste dessen, was es auf der Welt am vordringlichsten zu bekämpfen gelte; die globale Klimaerwärmung rangiert dabei auf einem der hintersten Plätze - weit hinter Aids, Unterernährung, Handelshindernissen, Malaria, mangelnder Versorgung mit sauberem Trinkwasser und anderen Problemen in den am wenigsten entwickelten Ländern.
Zuverlässigere Klimamodelle
Vor kurzem hat nun der Wirtschaftsausschuß des britischen Oberhauses, beraten durch den angesehenen Umweltökonomen David Pearce, einen Bericht mit dem Titel „The Economics of Climate Change” veröffentlicht. Auch dieses Dokument setzt sich kritisch mit dem Kyoto-Protokoll auseinander und wirft dem IPCC zudem vor, sich bei einigen seiner Befunde von politischen Erwägungen leiten zu lassen.
Der Vorwurf bezieht sich nicht auf die technische Analyse des Klimawandels. Hier hat das IPCC mit großer Sorgfalt nicht nur Unsicherheiten und Wissenslücken berücksichtig,t sondern auch Entwicklungen, die nicht in den Trend einer allgemeinen Erwärmung zu passen scheinen. Das stärkt das Vertrauen in die Objektivität der Wissenschaftler und ihre Schlußfolgerung. Diese lautet: Trotz aller Unsicherheiten seien die Klimamodelle insgesamt zuverlässiger geworden. Die globale Erwärmung sei eine Tatsache, und sie habe sich in den letzten Jahrzehnten beschleunigt. Außerdem sei „eine signifikante anthropogene Komponente nötig, um die Entwicklung zumindest der letzten 30 Jahre zu erklären”.
Pessimistische Vorhersagen
Der Mechanismus des Treibhauseffektes scheint heute allgemein anerkannt: Neben anderen Faktoren verursacht CO2 die Erwärmung. Und der Hauptgrund für den steigenden Gehalt dieses Gases in der Erdatmosphäre ist unsere zunehmende Nutzung fossiler Brennstoffe. Neuere, nach dem jüngsten IPCC-Bericht veröffentlichte Befunde haben diesen Schluß weiter untermauert. So hat etwa das Scripps Institute of Oceanography kürzlich herausgefunden, daß die deutliche Erwärmung der Ozeane nur durch menschengemachte Treibhausgase verursacht worden sein kann.
Trotzdem bleiben zwei wichtige Fragen unbeantwortet: Wieviel weitere Erwärmung haben wir für die Zukunft zu erwarten? Und was können wir dagegen tun? Der „Third Assessment”-Report des IPCC enthält eine Liste möglicher Temperaturverläufe für die kommenden hundert Jahre. Günstigstenfalls steht uns eine Erwärmung der Atmosphäre um 1,4 Grad ins Haus - das wäre das Zweieinhalbfache des Anstiegs während des 20. Jahrhunderts und ein Wert, bei dem nicht ganz klar ist, ob nicht der Nutzen am Ende die Nachteile überwiegt. Schlimmstenfalls steht uns aber ein Anstieg von 5,8 Grad bevor, und das zöge in der Tat schwere Schäden für die allermeisten Weltgegenden nach sich. Wir wissen zwar nicht, welches Szenario am wahrscheinlichsten ist. Doch es ist kaum verwunderlich, daß die pessimistischsten Vorhersagen die meiste Aufmerksamkeit erhalten.
Tatsächliche Kosten überschätzt?
Die Mitglieder des britischen Oberhauses vermissen vor allem Anhaltspunkte über die Wahrscheinlichkeiten, mit denen die verschiedenen Klimaentwicklungen zu erwarten sind. Außerdem kritisieren sie Annahmen und Methoden, die automatisch zu den schwärzesten Szenarien führen.
Da wäre etwa der Umstand, daß die möglichen Vorteile einer globalen Erwärmung mit keinem Wort erwähnt werden. Dazu gehören beispielsweise die positiven Auswirkungen höherer CO2-Werte auf manche Agrarpflanzen oder die Vorzüge, die mildere Winter für Nordeuropa bedeuten würden. In diesem Punkt weicht das von den politischen Vertretern genehmigte „IPCC summary”, eine Zusammenfassung der wissenschaftlichen Befunde für Entscheidungsträger, entscheidend von dem Bericht der Experten ab.
Darin wird nämlich ausdrücklich festgehalten, daß die gegenwärtigen Schätzungen die tatsächlichen Kosten des Klimawandels unterschätzen könnten, weil sie extreme Wetterereignisse tendenziell ausblenden, daß sie aber andererseits „positive Folgen des Klimawandels übersehen haben könnten”. Genau dieser Halbsatz fehlt im „summary”. Dort heißt es lediglich, daß die „wirtschaftlichen Schäden wahrscheinlich unterschätzt und die wirtschaftlichen Gewinne überschätzt” würden.
Alarmistische Verzerrung der Klimaprognosen
Des weiteren macht das IPCC zweifelhafte Angaben darüber, wieviel CO2-Emissionen wir denn in Zukunft zu erwarten haben. Deren Zunahme hängt ja einerseits vom künftigen Wirtschaftswachstum ab, andererseits aber auch von der Bevölkerungsentwicklung und nicht zuletzt davon, mit welchen Technologien wieviel Energie mit welcher Effizienz gewonnen werden kann. Überschätzt man das Wirtschaftswachstum, überschätzt man auch den Anstieg der globalen Erwärmung. Doch der IPCC „spezial report on emission scenarios” (SRES) arbeitet bei seinen verschiedenen Szenarien mit fehlerhaften Methoden.
So geht er davon aus, daß sich die Kluft zwischen armen und reichen Ländern rasch schließen wird. Dabei wird schon die Größe der aktuellen Kluft überschätzt, und zwar dadurch, daß man beim Vergleich von armen und reichen Ländern einfach die nominellen Wechselkurse heranzieht und sie nicht, wie unter Ökonomen heute eher üblich, auf Kaufkraft korrigiert. Das führt dann dazu, daß mit enormen Wachstumsraten gerechnet wird, die alle historischen Erfahrungen übertreffen. Tatsächlich beruht aber die Annahme einer schnellen Angleichung der Volkswirtschaften nicht auf empirischen Daten, sondern vielmehr auf Vorstellungen darüber, was denn wohl fair wäre. Das Ergebnis ist eine alarmistische Verzerrung der Klimaprognosen nach oben.
Relativ bescheidene Ziele
Die wichtigsten Schlußfolgerungen in dem Bericht des britischen Oberhauses betreffen aber das Kyoto-Protokoll selbst. Die Ziele der ersten Kyoto-Stufe, die 2012 endet, werden - und das ist unstrittig - die globale Erwärmung kaum beeinflussen. Selbst wenn die Vereinigten Staaten dem Protokoll beiträten, was sie nicht tun werden, würde Stufe 1 den Grad der Erwärmung, die ohne jede Gegenmaßnahme im Jahr 2100 einträte, lediglich um sieben Jahre verzögern. Anders ausgedrückt: In hundert Jahren würde die Erwärmung gerade mal um 0,1oC verringert.
Denn die Ziele bis 2012 sind relativ bescheiden formuliert: Die 15 alten EU-Staaten müssen ihre durchschnittlichen CO2-Emissionen um mindestens acht Prozent unter das Niveau von 1990 senken. Doch schon das könnte ziemlich teuer werden. Für 2050 hat sich die britische Regierung (unter der Bedingung, daß die anderen Länder Ähnliches anstreben) eine Reduktion um 60 Prozent gegenüber 1990 vorgenommen. Überraschenderweise hat aber in der Behörde des Schatzkanzlers noch niemand ausgerechnet, welche volkswirtschaftlichen Kosten dadurch entstehen.
Kein meßbarer Effekt der Stufe 1
Die Verteidiger des Kyoto-Protokolls wenden ein, daß es auf das gesamte System ankomme und daß die Stufe 1 ja nur der erste Schritt auf einem Weg weiterer Verträge sei. Doch es ist unwahrscheinlich, daß selbst die bescheidenen Ziele für 2012 von allen Unterzeichnerstaaten erreicht werden. Werden sie das nicht, so sieht das Kyoto-Protokoll Sanktionen vor: Die betreffenden Länder müssen ihren Fehlbetrag bei Stufe 2 (die erst noch ausgehandelt werden muß) ausgleichen und - als Strafe - eine Reduktion um weitere 30 Prozent erreichen. Da fragt man sich natürlich, ob sich diese Länder dann an einer zweiten Stufe wirklich noch beteiligen werden.
Der Kyoto-Prozeß ist eine bemerkenswerte Übung darin, sich und der Welt etwas vorzumachen. Stufe 1 wird keinen meßbaren Effekt auf die Klimaerwärmung haben. Weder Amerika noch Indien oder China - alles Länder, die zahlreiche neue Kohlekraftwerke bauen und die meisten Treibhausgase produzieren - haben vor, sich an den Stufen 1 oder 2 zu beteiligen. Man muß kein Wirtschafts-Nobelpreisträger sein, um einzusehen, warum das Kyoto-Protokoll in der Liste der realistischen Programme zur Lösung globaler Krisen ganz nach unten rutschen sollte.
Gefährliche Boliden auf andere Bahn lenken
Die Ökonomen haben sich in Kopenhagen nicht näher mit der wissenschaftlichen Analyse des IPCC befaßt. Sie bezweifeln auch nicht den entscheidenden Befund, daß die Klimaerwärmung eine Tatsache und der Mensch dabei ein wichtiger Faktor ist. Ihre Ansichten beruhen vielmehr auf einer Kosten-Nutzen-Analyse. Allerdings haben einige Mitautoren noch zusätzliche Bemerkungen formuliert. Eine davon lautet, daß künftige Generationen wahrscheinlich schlauer und reicher sein werden als wir und daß es sinnlos ist, wenn die heutige Generation für die Lösung der Probleme von morgen bezahlt.
Was aber wäre die bessere, konstruktivere Antwort auf die Herausforderung der globalen Erwärmung? Niemand fordert ja, das Problem zu ignorieren. Auf den ersten Blick scheinen sich Vorsichtsmaßnahmen zu empfehlen, um mögliche Katastrophen zu verhindern, und sei die Wahrscheinlichkeit dafür auch noch so klein. Aber auch hier ist eine Abwägung zwischen Aufwand und Wahrscheinlichkeit am Platze. Wenn ein großer Asteroid die Erde trifft, wird der Schaden mit Sicherheit immens sein; doch die Wahrscheinlichkeit dafür ist so gering und der Aufwand, jeden möglicherweise gefährlichen Boliden vorsichtshalber auf eine andere Bahn zu lenken, so hoch, daß eine solche Vorsichtsmaßnahme irrational wäre. Andererseits: Sind die Kosten nicht unerschwinglich, ist es durchaus sinnvoll, Strategien zur Reduktion der CO2-Emissionen zu verfolgen.
Der nuklearen Option nicht verschließen
Was der Oberhaus-Ausschuß nun vorschlägt, ist ein ausgewogenes Programm aus Verringerung der Emissionen und Anpassung an das Unvermeidliche. Letzteres wurde in der bisherigen Debatte meist vernachlässigt. Denn wenn die Meeresspiegel tatsächlich steigen, flache Küstenregionen bedroht sind und sich das nicht innerhalb einiger Jahrzehnte rückgängig machen läßt, ist es durchaus sinnvoll, Staaten wie Bangladesch in die Lage zu versetzen, Deiche zu bauen, wie die Holländer sie bereits haben. Und Bangladesch wird sich um so besser selber helfen können, je wohlhabender es ist. Tatsächlich ist das ja die Überlegung hinter dem Kopenhagener Konsens: Falls die reichen Staaten es schaffen, mit den Problemen fertig zu werden, dann helfen Maßnahmen zur Verringerung der Armut den armen Ländern, es ihnen gleichzutun.
Da zumindest die wissenschaftlichen Befunde des IPCC ernst zu nehmen sind, muß die Verringerung der Treibhausgase in der Tat hohe Priorität behalten. Das britische Oberhaus setzt allerdings nicht auf das Rezept der Regierung, welche das größte Gewicht auf erneuerbare Energiequellen, insbesondere auf die Windenergie, legt. Statt dessen wird eine Kohlenstoff-Steuer vorgeschlagen, um Marktanreize dafür zu schaffen, Technologien zu entwickeln, die kein CO2 emittieren. Des weiteren sollte man sich auch der nuklearen Option nicht verschließen und zumindest die bestehenden Kernkraftwerkskapazitäten erhalten.
Möglichst rasche technische Entwicklung
Die wichtigste Empfehlung der Lords zielt darauf ab, sich auf die Forschung zu konzentrieren. Kritiker werden einwenden, das sei genau die Strategie der Vereinigten Staaten, die viele als das Haupthindernis für eine umfassende internationale Zusammenarbeit in Fragen des Klimawandels ansehen. Glaubt man den Umweltaktivisten, dann war der G-8-Gipfel ein Triumph für Bush. Aber vielleicht sollte man den Gipfel eher als Triumph des Realismus über die Illusion ansehen. Selbst wenn wirklich etwas damit gewonnen wäre, daß die Entwicklungsländer ihr eigenes Wirtschaftswachstum im Interesse der Zukunft des Planeten drosseln - sie werden es niemals tun. Nichts wird China und Indien abhalten, neue Kohlekraftwerke zu bauen.
Die Lösung kann daher nur in einer möglichst raschen technischen Entwicklung liegen. Doch es sind gerade die Vereinigten Staaten und nicht etwa Großbritannien oder Europa, die intensiv in neue Technologien wie die Versenkung von Kohlenstoffdioxyd oder Transportsysteme auf Wasserstoffbasis investieren. Eine internationale Vereinbarung über neue Technologien und ihre Verbreitung wäre eine effektivere Antwort auf den Treibhauseffekt als der Kyoto-Prozeß mit seinen Sanktionen.
Quelle:
http://www.faz.net/s/Rub2542FB5D98194DA ... ntent.html
Grüsse Peter