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URBI

Grenzen

Beitrag von URBI »

Tages Anzeiger

Die braune Brut macht sich im Osten ungehindert breit


Roma, Juden, Andersdenkende sind die Opfer.

Der TA-Osteuropakorrespondent legt mit einem Kollegen eine erschreckende Untersuchung vor.


Es kann keinen wundern, dass nach 1989 in den einstigen Satellitenstaaten der Sowjetunion starke nationalistische Bewegungen entstanden. Nach Jahrzehnten kommunistischer Unterdrückung im Gewande des Internationalismus kam nun die Morgenröte nationaler Ideologien. Von denen sich bald zum Teil üble nationalistische, rassistische, antisemitische Gruppierungen nährten.

Heute ist bereits die nächste Generation am Wirken, die auch vor Mord nicht zurückschreckt. Die «Führer» sind um die dreissig, das Fussvolk oft noch Teenager. Sie scheuen die Öffentlichkeit nicht, im Gegenteil. Sie entstammen nicht, wie man oft meint, vorwiegend der Unterschicht, sondern der Mittelschicht.

Verbreitetes Phänomen

Es ist eine Erscheinung, die sich über den ganzen ehemaligen Ostblock zieht, wenn sich Gewichtungen, Methoden oder Ziele auch unterscheiden. Bernhard Odehnal, Österreich- und Osteuropakorrespondent des «Tages-Anzeigers», und sein Kollege Gregor Mayer, der in Belgrad und Budapest lebt, legen nach Jahren der Recherche einen beängstigenden Report vor. Als Beispiel dienen ihnen Ungarn, Tschechien, die Slowakei, Kroatien, Serbien und Bulgarien.

Dieses Buch handelt also von unseren Nachbarn, die wir gerne besuchen, ob in Prag oder in Budapest, am kroatischen oder am Schwarzmeerstrand. Und doch scheint es, als interessiere uns nicht, was sich da wirklich abspielt.

Der bekannte österreichische Publizist Paul Lendvai, aus Ungarn gebürtig, weist in seinem Vorwort zu Recht darauf hin, dass das Buch eine Lücke füllt in der westlichen Berichterstattung. Odehnal und Mayer öffnen dem Lesen die Augen über eine alarmierende Erscheinung.

Der Hass eint alle

Bei allen Unterschieden in den beschriebenen Staaten ist die grosse Gemeinsamkeit der tiefsitzende Hass auf die Roma und der ebenso tiefverwurzelte Antisemitismus. Roma sind stets die ersten Opfer regelrechter Gewaltausbrüche, halber Pogrome und von Mordanschlägen. Gleichzeitig sorgt keiner der Staaten ernsthaft dafür, dass sich ihre Situation verbessert, von einzelnen Bemühungen abgesehen. Zugleich präsentiert sich diese neue Rechte gerne als Opfer staatlicher Repression, als jene, die mit dem «korrupten Saustall» aufräumt und von oben daran gehindert wird.

Der Hass gegen die Juden drückt sich anders aus, denn sie leben nicht in geschlossenen Siedlungen und verkörpern nicht die unterste und hilflose Gruppe in der Gesellschaft. Sie sind in erster Linie den Verleumdungskampagnen bestimmter Medien ausgesetzt, durchaus nicht nur des rechten Randes. Die uralten antijüdischen Stereotype werden mit einer Obsession sondergleichen weiter verbreitet.

Ein Cocktail der Ideologien

Das alles vermengt sich mit einem tiefsitzenden Antikommunismus der Vätergeneration und der Wut auf jene Funktionäre, die sich nach 1989 eine goldene Nase verdient haben, während das gewöhnliche Volk nicht mehr weiss, wie es ohne die staatlichen Wohltaten von einst im kapitalistischen Alltag bestehen kann. Was nicht heisst, dass sich nicht auch einstige Kommunisten unter den Rechten wiederfinden – keine Wende absurd genug, als dass sie nicht möglich wäre.

Den Auftakt des Buchs macht Gregor Mayer mit Ungarn, und eine drastischere Einführung in das Thema lässt sich kaum denken. Nirgends ist die Rechte so stark und so weit in das Parteiensystem vorgerückt wie hier, wie die Parteien Fidesz und noch weiter rechts Jobbik belegen. Jobbik hat bei der Europawahl vor einem Jahr 15 Prozent gewonnen und ist nun mit drei Abgeordneten in Brüssel vertreten. Ihr Hass auf Roma, Juden, Andersdenkende überhaupt blüht aber weit über die engeren Parteigrenzen hinaus.

Juden als Sündenbock

Wo der Rechtsextremismus seine historischen Wurzeln hat, zeigt Mayers ausführliche Analyse der jüngeren ungarischen Geschichte mit dem traumatischen Verlust von zwei Dritteln des Territoriums nach dem 1. Weltkrieg, dem Ende des alten Ungarn. Sündenböcke indes waren zu allen Zeiten schon die Juden. 1944 halfen die Ungarn den Nazis, Hunderttausende von ihnen nach Auschwitz zu deportieren. So viel zur Tradition.

Jedes der Länder, die die Autoren untersuchen, hat eine andere Geschichte, und es hilft dem Verständnis sehr, dass sie die historischen Zusammenhänge aufzeigen. Sie reichen zum Teil bis ins (heute verklärte) Mittelalter zurück, die jahrhundertelange ottomanische Herrschaft ist bis heute propagandistisch präsent.

Gegenbeispiel Tschechien

Dass Rechtsextremismus aber auch ohne traumatische Vergangenheit blühen kann, zeigt das Beispiel Tschechien: Hier herrschte keine faschistische Diktatur wie in Italien oder Deutschland, keine Marionettenregierung der Nazis wie jene des Pfarrers Joszef Tiso in der Slowakei oder der Pfeilkreuzler in Ungarn, es gab in diesem Land auch keinen Befreiungskrieg mit dem Zeug zum Mythos, dafür einen so untypischen Nationalhelden wie die Romanfigur des subversiven Soldaten Schwejk, der die Grossmacht Habsburg auf seine Weise vorführte, aber als Nationalismus-Ikone wahrlich nicht zu gebrauchen ist.

Insgesamt gab es auch weniger Antisemitismus in Tschechien, aber was Bernhard Odehnal dann an rechtsextremistischen Umtrieben und Gewalttätigkeiten unserer Tage beschreibt, unterscheidet sich wenig von jenen in den umliegenden Ländern. Übrigens gerade hier auch mit guten Kontakten über die Grenze nach Deutschland hinweg und selbst in die Schweiz, deren SVP und ihre Schäfchenpropaganda als nachahmenswert gewertet werden.

Staatsorgane schauen zu

Eine weitere übernationale Gemeinsamkeit, die die Autoren herausarbeiten, ist die entgegen der rechten Propaganda Interessen- und Tatenlosigkeit von Polizei, Justiz, politischen Organen oder der Kirche. Die relevanten gesellschaftlichen Kräfte schreiten nur halbherzig ein. Oder lassen sich, wie die orthodoxe Kirche in Serbien, sogar mit diesem Milieu ein. Hier verbinden sich Klerus, rechtsextremistische Jugendliche und Hooliganszene zu einem üblen Gebräu. Dessen Opfer wurde im Herbst 2009 ein harmloser französischer Fussballfan, der in einem Café in Belgrad sass. Auch wenn der brutale Mord nachher von Politikern verurteilt wurde, hält die orthodoxe Kirche ihre schützende Hand über diese Gewalttäter, und da traut sich auch die Politik nicht mehr, etwas zu sagen.

Obskure Verbindungen

Ebenso auffallend ist, dass die beiden Autoren so gut wie nichts zu schreiben haben über eine klare Ansage seitens der EU, dass sie solche Umtriebe nicht dulde. Immerhin sind die Mehrheit der beschriebenen Staaten EU-Mitglieder oder Kandidaten wie Kroatien. Irritierend sind auch obskure Verbindungen wie zum Beispiel jene der jüngst pleitegegangenen Hypo-Alpe-Adria-Bank in Klagenfurt. Diese Bank unter der einstigen Aufsicht des Landeshauptmanns Jörg Haider und mit engen Beziehungen zu Bayern, das deswegen auf 3,7 Milliarden Euro Schulden sitzt, sponserte bis 2007 den kroatischen Sänger Thompson, einen Star der rechten Szene – belegt mit einem Einreiseverbot für die Schweiz.

Wer das Buch gelesen hat, wird erkennen, dass man es hier nicht mit einer Randerscheinung zu tun hat, die man ohne weiteres ignorieren kann. Das alles spielt sich mitten im aufgeklärten Europa ab.

Bernhard Odehnal, Gregor Mayer: Aufmarsch. Die rechte Gefahr aus Osteuropa. Residenz, 2010. 297 S., 37.90 Fr.

(Tages-Anzeiger)
Erstellt: 26.03.2010, 19:54 Uhr

Schnittlauch

Re: Grenzen

Beitrag von Schnittlauch »

Das passiert, wenn "Möchtegern-Wohlfahrtsstaaten" plötzlich keinen Kredit mehr kriegen...und diesen Kredit auch nie wirklich verdient hätten.

Links- wie auch Rechtsextremismus (alles die selbe Sosse) werden zunehmen, genau so wie der Einfluss anderer Spinner und extremer Randgruppen.

Richtig witzig wird es aber, wenn die von uns importieren Konflikte so richtig abgehen: Türken gegen Kurden, Tschetschenen usw...

Hast du schon mal in die Schweiz geschaut und ist dir das Ausmass wirklich bewusst, Urbi?

Demnächst in diesem Theater. Auch interessant:

http://fedupusa.org/2010/03/20/the-most ... e-century/
Zuletzt geändert von Schnittlauch am Mo 29. Mär 2010, 15:27, insgesamt 2-mal geändert.

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