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Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Alles zu (Un)wetter relevant für die Schweiz
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Federwolke
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Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Beitrag von Federwolke »

Schnittlauch hat geschrieben:Vielleicht können diese Dienste bald eingekauft werden, ein Geschäftsfeld wäre es jedenfalls.
Solche Dienste gibt es längst, derzeit kann man in der Schweiz zwischen mindestens 6 Anbietern auswählen. Gerade das macht ja die Ereignisse von Biel so unverständlich. Entweder die Leute dort hatten wirklich keine Ahnung, was es gibt. Oder sie dachten die paar hundert Fränkli könne man sich sparen. "Bitzeli sälber Internet gugge längt scho..."

Meines Erachtens sind auch die Versicherungen in der Pflicht, diesbezüglich Druck zu machen. Versicherung für solche Anlässe nur unter der Bedingung, dass eine professionelle Wetterberatung in Anspruch genommen wird, bzw. die Versicherung beauftragt und bezahlt die Wetterdienstleister direkt. Andernorts funktioniert das bereits.
Zuletzt geändert von Federwolke am Di 25. Jun 2013, 15:31, insgesamt 1-mal geändert.

Schnittlauch

Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Beitrag von Schnittlauch »

Meines Erachtens sind auch die Versicherungen in der Pflicht, diesbezüglich Druck zu machen. Versicherung für solche Anlässe nur unter der Bedingung, dass eine professionelle Wetterberatung in Anspruch genommen wird, bzw. die Versicherung beauftragt und bezahlt die Wetterdienstleister direkt.
Gute Idee, Fabienne. In der Folge müsste dann ein darauf abgestimmtes Evakuationskonzept erarbeitet werden. Ein weites Feld...

Ich habe mich schon einige Male gefragt wie eigentlich diese Konzepte für Open-Air Veranstaltungen mit 80000-100000 Gästen aussehen.

Gerade der Gurten dürfte kaum geordnet zu evakuieren sein. Wohin sollen die Leute da während eines schweren Sturms gehen?


Urbi

Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Beitrag von Urbi »

Federwolke hat geschrieben:die Leute dort hatten wirklich keine Ahnung, was es gibt. Oder sie dachten die paar hundert Fränkli könne man sich sparen
Wenn Verträge eingehalten werden müssen und Druck seitens der Auftraggeber usw. besteht, werden schnell einmal wichtige Wettervorhersagen als zweitrangig beurteilt.
Was sie dachten, spielt dabei keine Rolle. Entscheidend ist, wie sie handelten.

Stefan Hörmann hat geschrieben:Das Ansehen der Warndienste, und damit auch der Meteorolgen, ist unter der Bevölkerung schlecht.
Ich gehe davon aus, dass das Handeln des Bauleiters genau auch unter demselben Druck entschieden wird. Siehe oben. Die Ihm unterstellten stehen ja selbstverständlich auch unter Eigenverantwortung. Sie sind ein Teil der Bevölkerung. Sicherlich sehr interessiert an einer guten Warndienstleistung. Oder mehrerer.

Grüsse
Urbi

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Andreas -Winterthur-
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Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Beitrag von Andreas -Winterthur- »

Man muss sich nicht wundern, warum die Menschen den Meteorologen nicht (mehr) trauen.
Ich glaube das war schon vor der Ära der teils inflationären Wetterwarnungen so. Liegt in der Natur der Sache, dass man Prognosen nicht traut. Ausser natürlich den Finanzberatern mit ihren tollen Börsenprognosen. (Mit den inzwischen bekannten Folgen. :lol:)

Zum oben diskutierten noch ein paar Zitate aus einem Interview vom vergangenen Sonntag mit Fränk Hofer dem OK-Chef und Leiter Abteilung Sport der Beratungsstelle für Unfallverhütung bfu übrigens...
Das Turnfest ist ein Mega-Event und kein Grümpelturnier: Warum hatten Sie trotz früher Wetterwarnung keinen direkten Draht zu einem Meteorologen eingerichtet?
Fränk Hofer: Wir verfügten selbst über gute Wetterdaten mit Echtzeitinformationen von der Seepolizei, umliegenden Gemeinden und Webams etc. Wir waren auf Gewitter und Hagel vorbereitet und sahen das Unwetter auch kommen. Das OK-Team mit einem Meteo-Experten zu ergänzen, wäre aber durchaus eine Überlegung wert. Aber am Schluss muss ich die Entscheidung fällen.
Was war der grösste Fehler?
Ich habe nicht das Gefühl, dass wir einen Fehler gemacht haben. Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Alle fünf Austragungsorte mit zehntausenden Leuten gleichzeitig zu evakuieren wäre eine unglaubliche Sache gewesen.
Bereits beim ersten Unwetter wurden sie vom Ereignis überrascht. Hat man verpasst, Lehren daraus zu ziehen?
Wir haben Abläufe optimiert und verfügt, die Infrastruktur nochmals fester anzuzurren. Im Meteo-Warnprozedere haben wir keine Anpassungen vorgenommen.
Quelle: http://www.20min.ch/schweiz/news/story/16140495

Der Schlusssatz ist schlicht der Hammer! Ich glaube man muss schon die "Psychologie" bemühen, um solches noch zu verstehen. Oder vielleicht war Schlicht der Wille (und die Möglichkeit) nicht da zu evakuieren und man liess es einfach drauf an kommen. Das würde aber anderen Aussagen widersprechen, wo man z.B. in einer Chronologie des Tages nachlesen kann (Samstagsausgabe vom Tagi), dass um 10 Uhr die Verantwortlichen des etf dementsprechend gebrieft wurden, dass Gelände im Notfall innert minutenfrist evakuieren zu können.

Juristisch ein wirklich interessanter Fall, falls es überhaupt zu einer Anklage kommt. Nicht dass ich damit rechnen würde, dass die Verantwortlichen verurteilt würden (dafür ist der Anlass zu gross und von oben sicher gut geschützt). Aber schon nur eine Urteilsbegründung könnte wegweisend sein für zukünftige Anlässe in dieser Grössenordnung.

Gruss Andreas
Zuletzt geändert von Andreas -Winterthur- am Di 25. Jun 2013, 16:17, insgesamt 5-mal geändert.
“Some people are weather wise, but most are otherwise” Benjamin Franklin

Schnittlauch

Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Beitrag von Schnittlauch »

Alle fünf Austragungsorte mit zehntausenden Leuten gleichzeitig zu evakuieren wäre eine unglaubliche Sache gewesen.
Dafür möchte ich gerne mal ein Konzept sehen. Ich gehe davon aus dass diese Konzepte nicht vorhanden sind.
Wahrscheinlich geht es nach dem Motto: Rette sich wer kann.
Ich habe nicht das Gefühl, dass wir einen Fehler gemacht haben. Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt.
Genau das wird nun von einem Gericht beurteilt werden. Wird sich wohl über Jahre hinziehen...
Im Meteo-Warnprozedere haben wir keine Anpassungen vorgenommen.
Wohlwissend dass man die Besucher vielleicht gar nicht wirklich evakuieren könnte?

Vielleicht riskiert man aber auch eher 80 Verletzte durch ein Gewitter als 120 Tote durch eine Massenpanik.
Das Risiko einer Massenpanik dürfte nicht ganz unerheblich sein.

pöstligeo
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Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Beitrag von pöstligeo »

Hoi zäme

Noch betreffend Akzeptanz Unwetterwarnungen bzw. Mitarbeit von Meteorologen: Ich denke es macht einen grossen Unterschied in der Akzeptanz ob es eine allgemein verbreitete Warnung oder die Einschätzung eines bei solch einem grossen Event extra beigezogenen Meteorologen/Wetterdienstes ist der die Organisatoren direkt berät. Das ist was ganz anderes und wenn hier eine entsprechende Warnung nicht ernst genommen würde, wäre das Sicherheitskonzept meiner Ansicht nach bezüglich Wetter ein Witz. Natürlich kann auch da evtl. trotz Warnung nichts passieren, aber solche Interventionen sind viel spezifischer und zentrierter und daher von ganz anderer Qualität als Entscheidungsgrundlage.

Gruss Christoph

Andreas (Langnau)
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Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Beitrag von Andreas (Langnau) »

Schnittlauch hat geschrieben:Wohlwissend dass man die Besucher vielleicht gar nicht wirklich evakuieren könnte?
Ich habe mich auch schon gefragt, ob und in welcher Form eine Evakuation möglich gewesen wäre. Diese Frage wird wohl bei einer Anklage eines der Kernthemen sein. Denn in den Zelten sind die Leute auch nicht sicher. Wie sich gezeigt hat, halten diese einem Sturm nicht stand. Wären die Leute vorgewarnt worden, wie ich es eigentlich für sinnvoll halten würde, dann hatten wohl viele gerade in diesen Zelten Schutz gesucht. In Zukunft wird man wohl nicht darum herum kommen, die Reaktion auf solche Ereignisse im Voraus zu planen...
Andreas Strahm, Langnau i.E., 670 m.ü.M.


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Dani (Niederurnen)
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Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Beitrag von Dani (Niederurnen) »

Andreas (Langnau) hat geschrieben:
Schnittlauch hat geschrieben:Wohlwissend dass man die Besucher vielleicht gar nicht wirklich evakuieren könnte?
Ich habe mich auch schon gefragt, ob und in welcher Form eine Evakuation möglich gewesen wäre. Diese Frage wird wohl bei einer Anklage eines der Kernthemen sein. Denn in den Zelten sind die Leute auch nicht sicher. Wie sich gezeigt hat, halten diese einem Sturm nicht stand. Wären die Leute vorgewarnt worden, wie ich es eigentlich für sinnvoll halten würde, dann hatten wohl viele gerade in diesen Zelten Schutz gesucht. In Zukunft wird man wohl nicht darum herum kommen, die Reaktion auf solche Ereignisse im Voraus zu planen...
Es ist dann auch immer die Frage ob die Leute wissen wohin sie denn gehen müssen. Wir machen so eine Evakuationsübung jährlich im Geschäft. Alle Mitarbeiter wissen aber einerseits wo sie hin müssen und andererseits gibt es Evakuationsverantwortliche welche mit orangen Westen überall am Weg zum Ziel stehen und dafür sorgen das die Leute ans richtige Ort gehen.

Deshalb denke ich das eine geordnete Evakuierung wohl auch nur darüber geht das definierte Evakuationsverantwortliche vorhanden sind welche kurz vor der eigentlich Evakuation ihre Plätze einnehmen um die Leute an die richtigen Orte zu lenken.
Neu nicht mehr in der Nebelsuppe von Uster sondern in im sonnigen Glarnerland

Urbi

Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Beitrag von Urbi »

Zelte und andere Fahrnisbauten können Ruck-Zuck abgebaut und wieder neu hingestellt werden.
Bei einer solchermassen Sturmwarnung / Gewitterwarnung, wäre dies als erstes schon einmal die simpelste Lösung.
Und auch absolute Vorgabe.



Die Massenevakuierung wurde zum Thema gemacht, weil genau diese ja nicht in der Schnelle zu verwirklichen war.

Schau, Schlau.

Gruss
Urbi
Zuletzt geändert von Urbi am Di 25. Jun 2013, 20:00, insgesamt 2-mal geändert.

Michael (Dietikon)
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Re: Gewitter, werden Gefahren unterschätzt?

Beitrag von Michael (Dietikon) »

Andreas -Winterthur- hat geschrieben:
Juristisch ein wirklich interessanter Fall, falls es überhaupt zu einer Anklage kommt. Nicht dass ich damit rechnen würde, dass die Verantwortlichen verurteilt würden (dafür ist der Anlass zu gross und von oben sicher gut geschützt). Aber schon nur eine Urteilsbegründung könnte wegweisend sein für zukünftige Anlässe in dieser Grössenordnung.
Ich habe eigentlich immer noch Vertrauen in eine unabhängige Justiz in der Schweiz. Darum denke ich, dass aufgrund des Sachverhalts, wie er sich derzeit darstellt, eine Verurteilung nicht so unwahrscheinlich ist. Es sieht ja derzeit nicht nur danach aus, dass das OK gemeinsam mit der Polizei die Wettersituation zweimal falsch beurteilt hat. Mir scheint auch, dass man auf so ein Sturmereignis überhaupt nicht vorbereitet war! Nur so sind die verspäteten und irrationalen Reaktionen des OKs beim zweiten Sturm einigermassen nachvollziehbar. Hätte man ein professionell erstelltes Sicherheitskonzept gehabt, hätte man die Leute bei Einsetzen des Sturm sicher nicht in die Zelte geschickt. Ausserdem hätte man die Leute frühzeitig über die Warnsituation informieren können und dass die Möglichkeit eines Unterbruchs besteht. Eine Massenpanik hätte das bestimmt nicht ausgelöst, aber man wäre etwas aufmerksamer gewesen.

Eine zweiter Punkt der mir bei Durchsicht von Berichten und Leserkommentaren aufgefallen ist. Viele (inkl. der OK-Direktor) scheinen überfordert mit Wetterwarnungen zu sein. So ist fast niemandem der Unterschied zwischen einer Frühwarnung vor Gewittern und der Unwetterwarnung in der Nowcastingphase klar. Da scheint ein grösseres Kommunikationsproblem vorzuliegen. Ausserdem fiel auch auf, dass viele den Warnungen (insb. Gewitterwarnungen) nicht trauen, weil diese oft nicht zutreffend seien. Dies ist natürlich auf die geringe räumliche Ausdehnung von Gewittern und anderen Vorhersageproblemen bei Extremereignissen zurückzuführen. Die breite Bevölkerung scheint sich dessen aber überhaupt nicht bewusst zu sein. Dies zeigt wieder mal die Probleme und Herausforderungen von Wetterwarnungen auf.

Zuletzt sind mir die vielen negativen Kommentare gegenüber Meteorologen aufgefallen, welche zumindest darauf hindeuten, dass diese in der breiten Bevölkerung keinen allzu guten Ruf geniessen. Da ist z. B. sinngemäss die Rede davon, dass Meteorologen hochbezahlte Scharlatane seien, die mit ihren Prognosen fast immer falsch liegen. Warum das so ist, hat sich mir nicht völlig erschlossen, allerdings hängt es aus meiner Sicht auch mit oben genanntem Kommunikationsproblem zusammen. Die breite Bevölkerung scheint nicht zu verstehen, dass Wettervorhersagen nicht 1:1 eintreffen müssen, gerade wenn es sich um lokale Wetterphänomene wie Gewitter handelt. Ganz viele Kommentatoren bemerkten dann auch, dass die Meteorologen bei ihnen ja falsch gelegen hätten und gar kein oder nur ganz gewöhnliche Gewitter gekommen seien. Dass sie in Biel recht hatten, war deshalb ihrer Ansicht nach reiner Zufall. Wirklich seltsam!

Grüsse, Michael
Dietikon ZH 405 m ü. M.
www.meteoprime.ch

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